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Wednesday, August 17, 2016

Der Ortsname Möschlitz

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Ortsnamen sind nicht nur inhaltsleere Etiketten oder bloße Aneinanderreihungen von Buchstaben. Sie entstanden in der alltäglichen Kommunikation und hatten ursprünglich eine auf die Natur oder die Bewohner bezogene Bedeutung. Besonders spannend sind Ortsnamen, die aus mittlerweile ausgestorbenen Sprachen entstanden sind, denn sie können Auskunft über die ehemaligen Bewohner und den ungefähren Zeitpunkt der Gründung geben, sogar auf die Gesellschaftsstruktur der ersten Siedler lassen sich Rückschlüsse ziehen. Zu diesen aufschlussreichen Ortsnamen gehört zweifelsohne Möschlitz.



Das Dorf Möschlitz liegt ca. fünf Kilometer westsüdwestlich der Stadt Schleiz, der Hauptstadt des ostthüringischen Saale-Orla-Kreises (Abb. 1).










Möschlitz wurde an einer Biegung der Wisenta errichtet (Abb. 2), eines 55 Kilometer langen rechten Nebenflusses der Thüringischen Saale.
Nach dem Fluss wurde die Region um Schleiz in einer Quelle von 1280 als terra dicta Wisenta und in der Heimatforschung als 'Wisentaland' bezeichnet (Anm. 1).




Über die Jahre seines Bestehens veränderte der Ortsname Möschlitz seine Gestalt gemäß der seit dem 13. Jahrhundert in Südostthüringen gesprochenen deutschen Dialekte. Möschlitz liegt im dialektalen Kleinraum der Reußischen Keilstaffel, einem Übergangsbereich zwischen thüringisch-mitteldeutschen und fränkisch-oberdeutschen Mundarten, in dem nach Norden hin thüringische Sprachmerkmale zu- und fränkische abnehmen (Anm. 2). Möglicherweise hat sich aufgrund der vier Jahrzehnte währenden Grenzschließung zwischen Thüringen und Bayern im 20. und 21. Jahrhundert in der Schleizer Gegend eine ostmitteldeutsche Umgangssprache etabliert, die auf die meisten fränkischen Elemente verzichtet.

So sagt die junge Generation heute loofm statt laafm (für 'laufen'), Hos oder Hose statt Hūs und Junge statt Gung. Einige fränkische Wörter wie a 'auch', net 'nicht' und fei, für das es kein hochdeutsches Äquivalent gibt, leben aber bis heute fort. Da Namen als Teil der Sprache Lautgesetzen unterworfen sind, die zum Teil starke Veränderungen zur Folge haben können, müssen zur Deutung immer die ältesten auffindbaren Schreibweisen zurate gezogen werden. Mundartliche Entwicklungen lassen sich dort ablesen.

Die ältesten Belege des Ortsnamens Möschlitz lauten folgendermaßen (Anm. 3): 1333 er Berchtolt pherrer von Moůlicz, 1333 er Bertolt von Mouslitz, 1350 Muszlicz, 1365 Můslicz, 1365 das dorf zu Můslitz, 1366 unsir dorf Můslitz, Muslitz, 1387 zu Muschlitz, 1448 Mußelitz, 1490-1530 Nickel ficher czu Meuselitz, 1501 Meuschlitz, 1533 Moschlitz, Moßlitz, 1534 Mosslitz, Moschlitz, 1534 Meuschlitz, 1552 Meüschlitz, 1596 Meuschlitz, 1597 Meuschlitz, 1598 zu Möschlitz, 1616 Möschlitz.

Abgesehen vom oben aufgeführten Erstbeleg Moůlicz, der wahrscheinlich aus einer Verschreibung resultiert, erscheint der Name Möschlitz bis ins 14. Jahrhundert hinein als Mouslitz, Muszlicz, Můslitz, Můslitz, Muslitz. Die unterschiedlichen Schreibweisen <ou>, <u> und <ů> des Stammvokals deuten darauf hin, dass man sich nicht sicher war, wie man ihn zu schreiben hatte. Das liegt daran, dass es im lateinischen Alphabet diesen Vokal nicht gibt. Es handelt sich nämlich um den Umlaut /ü/. Die Belege bis 1366 sind somit durchweg als *Müslitz (Anm. 4) zu lesen.

Im gesamten hochdeutschen Sprachraum wurde im Laufe des 14. Jahrhunderts die Lautverbindung /sl/ zu /schl/ weiterentwickelt. Das ist auch am Namen Möschlitz erkennbar, der 1387 als Muschlitz (sprich: *Müschlitz) erscheint. Die heutige Lautung Möschlitz beruht auf der Senkung des Vokals /ü/ zu /ö/, die im 16. Jahrhundert belegbar ist. Dies ist sprachökonomisch bedingt, da der Zungenrücken zur Bildung des Vokals /ö/ nicht so weit angehoben werden muss. Vereinzelt wurde das /ü/ wohl lang ausgesprochen, weshalb es im Zuge der Neuhochdeutschen Diphthongierung (Zwielautbildung) zu /eu/ (1501 Meuschlitz) verändert wurde, was sich letztlich jedoch nicht durchsetzen konnte (Anm. 5). Die allen Belegen gemeinsame Endung -itz weist auf einen slawischen Ursprung hin.

Slawen siedelten in Ostdeutschland, seitdem die Germanen im 5. und 6. Jahrhundert größtenteils abgewandert sind. Vorher wurden sie durch den aus Osten vorstoßenden Reiterhirtenstamm der Awaren aus ihrer Heimat, den Wäldern nördlich des Karpatenbeckens, vertrieben. Sie zogen über Mähren und Böhmen die Elbe abwärts und entlang ihrer größeren Nebenflüsse - wie der Saale - aufwärts. An siedlungsgünstigen Orten ließen sie sich nieder, für gewöhnlich in bereits vorher von Germanen bewohnten waldfreien Landschaften. Einer dieser Siedlungshorste befand sich in der Orlasenke zwischen Saalfeld und Triptis, die die Slawen nachweislich im 8. Jahrhundert erreichten (Anm. 6). Die Thüringer Slawen werden dem Stamm der Sorben zugerechnet, der erstmals 631 in den Schriftquellen in Erscheinung tritt (Anm. 7). Unter der Herrschaft der ottonischen Könige fiel im 10. Jahrhundert (929) das gesamte ostsaalische Gebiet zumindest auf dem Papier an das Deutsche Reich und gehörte fortan zur sächsischen Ostmark, die zunächst fast ausschließlich slawisch besiedelt war. Nach und nach siedelten sich deutsche Bauern in den slawischen Gebieten an, zunächst jedoch nicht im steinigen Wisentaland. Dort begann die deutsche Besiedlung erst gute zwei Jahrhunderte später auf Initiative des Geschlechtes der Lobdeburger, die das Land um 1204 als Belohnung für kriegerische Unterstützung von König Phillip von Schwaben zum Lehen bekamen (Anm. 8).

Wir müssen beachten, dass *Müslitz nicht die älteste Lautform des Ortsnamens Möschlitz ist, sondern eine von Deutschen bereits mehr oder weniger stark veränderte. Denn wahrscheinlich war das Altsorbische (Anm. 9), die in Thüringen und Sachsen gesprochene slawische Sprache, 1333 im Wisentaland schon einige Jahre ausgestorben. Durch Vergleichsnamen können wir die slawische Grundform rekonstruieren: Sie muss *Myslici gelautet haben. Deren erster Teil *Mysl- beruht auf einem damals recht beliebten slawischen Personennamen *Mysl, einer Kurzform von längeren slawischen Rufnamen wie *Myslibor, *Myslislav und *Myslimir, die alle das urslawische (Anm. 10) Wort *myslь 'Gedanke, Sinn' enthalten (Anm. 11). Der Name *Mysl war bei den ostdeutschen Slawen auch später noch weit verbreitet. So erscheinen in Mecklenburg-Vorpommern, wo sich die slawische Sprache (Anm. 12) länger halten konnte als in Thüringen, die Personen Miszel tu minichen (1353) und Missele (1381 in Rostock) in mittelalterlichen Quellen. Aber auch in Sachsen, wo ebenfalls Sorben lebten, ist der Name mit Thomas dictus ('genannt') Müzyl bezeugt (1390 in Bernitz bei Oschatz) (Anm. 13). Natürlich wurden auch diese Personennamen von deutschen Schreibern erfasst, die gemäß ihrer Gewohnheit die Lautverbindung /sl/ als <syl> oder <sel> niederschrieben.

Die altsorbische Endung *-ici diente ursprünglich zur Bezeichnung von Personengruppen. *Myslici bedeutete somit 'Leute des Mysl', wobei Mysl wohl der Name des Gruppenführers war. Das aber bedeutet, dass der Name Möschlitz ursprünglich an einer Personengruppe haftete und nicht an einem Ort. Das ist folgendermaßen zu erklären: Als das Wisentaland noch unbewohnt war, machten sich kleine Gruppen aus den schon bestehenden Dörfern in der Orlasenke auf, neue Siedelplätze zu entdecken. Diese Grüppchen bestanden vermutlich aus nicht mehr als 20 Personen, die miteinander verwandt oder verschwägert waren. Zumeist dürfte es sich um Großfamilien gehandelt haben. Da die unbesiedelten Gebiete noch mit dichten Buchenurwäldern überzogen waren, zogen sie mit Sack und Pack entlang der Saale und ihrer Nebengewässer, weil der Bewuchs der Flussauen spärlicher ausfiel (Anm. 14). An günstigen Orten gründeten sie Siedlungen. Oft waren das hochwassergeschützte Terrassen über den Flüssen, wie es z. B. noch gut an der Lage von Möschlitz und Grochwitz nachvollzogen werden kann. Die neuen Siedlungen erhielten dann den Namen der dort siedelnden Gruppe. Im Fall von Möschlitz also der Mysl-Leute.



Das Interessante an diesen Namen ist nun, dass sie zu den ältesten Ortsnamen in Ostthüringen zählen und wohl noch vor dem Kontakt der Slawen mit den Deutschen entstanden sind. Kartiert man alle Orte des ehemaligen Kreises Schleiz, deren Namen nach dem Muster Personenname + -ici gebildet worden sind, so kann man den Weg der Besiedlung von der Saale über die Wisenta bis zu deren Nebenflüssen sichtbar machen (Abb. 3, Anm. 15). In der näheren Umgebung von Möschlitz sind dies folgende Orte: Schleiz (1232 in Slowizc) 'Leute des Slava', Göschitz (1320 Godoschycz) 'Leute des Goduš' (Anm. 16),  Görkwitz (1250 Gorkewiz) 'Leute des Gorik' , Grochwitz (1552 Drochwitz) 'Leute des Droga', Pörmitz (1342 Permenytz) 'Leute des Borim oder Porim' (Anm. 17).

Die Karte zeigt auch, dass sich die frühen sorbischen Siedler nicht in die höhergelegenen Gegenden um Lobenstein, Saalburg und Tanna vorwagten. Dort gedeiht aufgrund des rauheren Klimas das Getreide schlechter. Die Technik der frühen Siedler reichte nicht aus, um den dortigen Böden die für das Überleben notwendigen Feldfrüchte zu entlocken. Slawische Namen wie Oschitz, Lössau, Löhma, Lehesten und Sorna, die sich auf Naturmerkmale beziehen, entstanden erst später, als die Sorben anfingen, durch Rodung auch bewaldete und höhergelegene Gebiete urbar zu machen (Anm. 18). Deutsche Ortsnamen sind noch jünger. Sie stammen frühestens aus dem 13. Jahrhundert, als die Deutschen das Gebiet aufsiedelten. Da noch frühere slawische Ortsnamen ebenso wie frühe slawische Funde im Wisentaland fehlen, kann man die Zeit der slawischen Landnahme im Schleizer Gebiet ab frühestens dem 9. Jahrhundert, eher ab dem 10. Jahrhundert annehmen. Leider gibt nur ein datierbarer archäologischer Fund Kunde über die Anwesenheit der Sorben im Wisentaland: ein im 10. oder 11. Jahrhundert gefertigter Ring aus einem Gräberfeld bei Göschitz (Anm. 19).

Wahrscheinlich hängt die Besiedlung der niedrigen Mittelgebirgslagen mit einer vom 9. bis zum 14. Jahrhundert andauernden Warmzeit zusammen, die Ernteerträge auch in etwas höheren Lagen versprach (Anm. 20).

So lässt sich mit den Methoden der Namenforschung am unscheinbaren Namen Möschlitz nicht nur ablesen, dass der so benannte Ort von Slawen gegründet wurde. Wir können sogar feststellen, dass sich im 9. oder 10. Jahrhundert eine saaleaufwärts wandernde Großfamilie um den Anführer Mysl dort niederließ.
Anmerkungen:
1. B. Schmidt (Hrsg.): Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen, sowie ihrer Hausklöster Mildenfurth, Cronschwitz, Weida und z. h. Kreuz bei Saalburg. 1. Bd. 1122-1356 (Thüringische Geschichtsquellen N.F. 2,1), Jena 1885, Nr. 201.
2. Vgl. Karte 6 in H. Rosenkranz: Der thüringische Sprachraum, Halle 1964, S. 22.
3. Die Belege wurden entnommen aus: B. Schmidt 1885, 1. Bd. Nr. 727 und 730, 2. Bd. 1357-1427 (Thüringische Geschichtsquellen N.F. Bd. 2.2), Jena 1892, Nr. 143 und 145; W. Ronneberger: Das Zisterzienser-Nonnenkloster zum Heiligen Kreuz bei Saalburg a. d. Saale, Jena 1932, S. 199, Nr. 2; Regesten der Urkunden des Sächsischen Landeshauptarchives Dresden 1351-1365, Halle/Saale 2003, Nr. 701; R. Mendner: Burgker Urkundenbuch. Urkunden und Urkundenauszüge der Herrschaft Burgk bis zu ihrer Angliederung an das Haus Reuß-Greiz 1596/1616, in: Mitt. Plauen 27 (1917); Nr. 2, 59, 83, 91 und 136; J. Alberti: Geschichte des Deutschen Hauses zu Schleiz, nebst Beiträgen zur älteren Geschichte des Schleizer Gebietes und der Stadt Schleiz. Schleiz 1877, S. 69; B. Schmidt: Die Herschaft Schleiz bis zu ihrem Anfall an das Haus Reuß, in: Festschrift des Geschichts- und Altertumsforschungsvereins zu Schleiz zur Feier seines 25 jährigen Bestehens von Dr. Berthold Schmidt, Schleiz 1902, Nr. 3; C. Hertel, E. Bartsch: Jahresbericht und Mitteilungen des Vereins für Greizer Geschichte, 1.-4. Bd. Greiz 1894-1909, S. 21, 25 und 51; R. Hänsel: Schloß Burgk und der Burgkhammer an der oberen Saale, Jena 1941, S. 8; Thüringisches Staats-archiv Greis, HAS, Nr. 155, Fol. 144; Pfarrarchiv Saalburg, A1 (Memorienbuch Saalburg), S. 4.
4. Das Zeichen * zeigt an, dass die darauf folgende Form urkundlich nicht nachweisbar, aber sprachwissenschaftlich rekonstruierbar ist.
5. Damals veränderten sich die langen Vokale /ī/ zu /ai/, /ü/ zu /eu/ und /ū/ zu /au/.
6. P. Sachenbacher: Eine Einführung, in: Sachenbacher P., Beier, H.-J. (Hrsg.): Der Orlagau im frühen und hohen Mittelalter (=Beiträge zur Frühgeschichte und zum Mittelalter Ostthüringens 3), Langenweißbach 2007, S. 4.
7. I. Dušek: Geschichte und Kultur der Slawen in Thüringen, Weimar 1983, S. 13.
8. W. Ronneberger: Das Zisterzienser-Nonnenkloster zum Heiligen Kreuz bei Saalburg a. d. Saale, Jena 1932, S. 18.
9. Altsorbisch gehört zu den westslawischen Sprachen, die den westlichen Teil des slawischen Sprachkontinuums bilden. Das Altsorbische ist ausgestorben und kann nur noch aus Orts-, Flur- und Personennamen erschlossen werden. Zumeist existieren in den eng verwandten noch lebenden westslawischen Sprachen, wie dem Polnischen, dem Tschechischen, dem Ober- und Niedersorbischen und dem Slowakischen, vergleichbare Wörter, die der Rekonstruktion des Altsorbischen hilfreich sind.
10. Als Urslawisch bezeichnet man die älteste Form des Slawischen, die bis zum 7. Jahrhundert gesprochen wurde und aus der alle slawischen Sprachen entstanden sind.
11. W. Wenzel: Lausitzer Familiennamen slawischen Ursprungs, Bautzen 1999, S. 181.
12. Die westslawischen Stämme, die seit dem 7. Jahrhundert Gebiete des heutigen Nordostdeutschlands und Nordwestpolens besiedelten, sprachen die eng mit dem Altsorbischen verwandte Sprache des Polabischen.
13. G. Schlimpert: Slawische Personennamen in mittelalterlichen Quellen zur deutschen Geschichte, Berlin 1978, S. 91f.
14. Nicht zufällig haben die meisten Nebenflüsse der oberen Saale slawische oder sogar vorslawische Namen, wie Debra, Plotenbach, Wisenta, Retschbach, Wettera, Lemnitz, Friesau, Pößnigsbach, Triebisbach usw.
15. Görkwitz könnten Slawen aus dem Geraer Raum über die Weiße Elster, die Weida und die Gülde kommend gegründet haben.
16. L. K. W. A. Ledebur: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des preussischen Staates, Bd. 15, Berlin u. a. 1834, S. 344. Das auf der Homepage des Ortes (www.goeschitz.de) angegebene Datum der Ersterwähnung 1333 ist falsch.
17. Westlich der Saale außerdem: Liebschütz (1258 Lobesiz) 'Leute des L'uboš (sprich Ljubosch)' und Drognitz (1120 Dhroganice) 'Leute des Drogan'.
18. J. Hermann (Hrsg.): Die Slawen in Deutschland, Berlin 1972, S. 13.
19. H. Rempel: Reihengräberfriedhöfe des 8. bis 11. Jahrhunderts, Berlin 1966, S. 62 u. 73.
20. Hubert Lamb: Klima und Kulturgeschichte: der Einfluß des Wetters auf den Gang der Geschichte, Reinbek 1989, S. 189-206.

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