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Friday, March 7, 2014

Rez.: Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet

Deutsche Gesellschaft für Namenforschung e.V. | Familiennamen polnischer Herkunft



Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft M - Z

Band 2: M-Z

Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet, hg. von Kazimierz Rymut und Johannes Hoffman Band 2: M-Z, bearb. von Barbara Czopek-Kopciuch, Zygmunt Klimek, Wanda Makula-Kosek, Henryka Mól, Kraków: Wydawnictwo PANDIT 2010, VIII + 499 S. – ISBN 978-83-88866-84-5, Preis: EUR 30,00 (DE)
Rezensiert von Walter Wenzel, Leipzig
Die Fortsetzung dieses großen Werkes ist in der gleichen Weise angelegt wie der 2006 erschienene erste Teil (Anm. 1). Das Buch leiten Abkürzungen und Erklärungen zur Aussprache poln. Namen ein (VII-IX), denen unmittelbar das Namenverzeichnis folgt (1-483).
Der Aufbau der einzelnen Namenartikel gleicht dem im ersten Band: Als Stichwort erscheint die heutige poln. Form, manchmal auch in einer dt. graphischen Variante, gefolgt von einer Zahl, die die Häufigkeit der Namenträger in den erfassten Städten des Ruhrgebietes angibt. Daran schließen sich die einzelnen Namenformen mit ihrer unterschiedlichen Schreibung an, wie sie in den ausgewerteten Telefonbüchern standen. Zu einer jeden von ihnen gibt eine Ortsabkürzung sowie eine Zahl an, wo und wie oft der Name vorkommt. Den Abschluss bildet die etymologische Erklärung des Namens, oft mit Hinweisen zur Wortbildung und zur frühesten Nennung in poln. Quellen. Wenig hilfreich ist, wie in früheren Rezensionen schon kritisch angemerkt, die Verwendung des in der Fachliteratur kaum gebrauchten und für Laien unverständlichen Terminus „Paradigmawechsel“. Die Namendeutungen sind stets zuverlässig und zeugen von dem hohen Stand der poln. historischen Personennamenforschung, sodass nur in wenigen Einzelfällen Verbesserungsvorschläge oder Ergänzungen möglich sind: PatokPatoka sowie Roj und Rojek lassen sich als Berufsübernamen für den Waldbienenzüchter auffassen (Anm. 2). Ein typisches Beispiel für zwischensprachliche anthroponymische Homonymie liegt bei Rasch vor, das die Autoren als Rasz < Radosław erklären, das aber auch auf mhd. mnd. rasch ‘schnell, hurtig, gewandt, kräftig’ beruhen kann (Anm. 3). Desgleichen läßt Rost neben zwei poln. mehrere dt. Erklärungen zu, und RuschRusche können auch dt. Wohnstättennamen sein, zu mnd. mhd. ruschrusche ‘Binse, Schilfrohr’ (Anm. 4). Die Schreibung mit -v- in Rovny deutet auf tschech. Ursprung hin. Wenn unter Serb die Bedeutung ‘der Serbe’ angegeben wird, könnte der Leser an einen Zuwanderer aus Serbien denken, was aber kaum zutreffen dürfte. Das Etymon Serb < urslaw. *sьrb- (neben *sъrb-) hatte ursprünglich die Bedeutung ‘Angehöriger ein und derselben Gens, d. h. desselben Familienverbandes, dann desselben Stammes’. Erst später wurde das Wort auf eine ganze Völkerschaft bezogen, so auf die Serben auf dem Balkan und die Sorben (im späteren Deutschland) (Anm. 5). Im Fall der poln. FNSerbSerba und Serbin dürfte die ursprüngliche Bedeutung zu Grunde liegen, und die Erklärung ‘mieszkaniec Serbii, też Łużyc’, wie sie Rymut gibt, wäre zu korrigieren. Zutreffend ist dagegen, wenn er das Etymon zu poln. sarbać, serbić, sorbać ‘schlürfen, schlabbern’stellt (Anm. 6). Als Sinn der Erstbenennung mit Serb ist „Einer von unserer Sippe“ zu vermuten. Unter den sorb. Namen kommenSerb, Serban, Serbik, Serbin, Serbka, Sarban, Sorb und Sorban vor, in Russland Serbinъ, so 1598 in Moskau, 1552 in Vinica, 1657 in Poltava (Anm. 7). Polak und Polan lassen sich nicht nur ethnonymisch erklären, sondern können, wie im Sorbischen, unmittelbar aus pole ‘Feld’ hervorgegangen sein und ‘Feldmann, Ansiedler auf freiem Felde’ bedeuten (Anm. 8). Schwer nachvollziehbar ist die Herleitung von Polan aus polana ‘Waldlichtung’ oder gar aus polano‘Holzscheit’. Witschas weist möglicherweise auf einen Zuzügler aus der Oberlausitz hin, denn oso.Wićaz, 1658 Witzschas, dt. ‘Lehmann’, ist sehr häufig (Anm. 9). Unter Wojciech wird lediglich angegeben ‘Von dem apoln. VollN Wojciech, dt. Adalbert’. Das stimmt zwar kulturhistorisch, nicht aber namenetymologisch: Der aus Böhmen stammende Bischof Adalbert mit dem tschech. NamenVojtěch fand bekanntlich auf einer Bekehrungsmission bei den Pruzzen den Märtyrertod, wurde später heilig gesprochen und galt als Schutzheiliger Polens. Der tschech. bzw. poln. Name beruht letztendlich auf urslaw. *Vojtěchъ mit dem Vorderglied aus urslaw. *vojь ‘Krieger, Kämpfer’ und dem Hinterglied aus urslaw. *těch- wie in tschech. útěcha ‘Trost’, těšit ‘(er)freuen’. Der dt. RN Adalberthingegen ging aus ahd. adal ‘edel, vornehm’ und ahd. beraht ‘glänzend’ hervor. Wojtyla sowie einige weitere Formen dürften eher mit Wojt < wójt ‘Vogt’ zusammenhängen und nicht Kurzformen von Wojciech darstellen. Zupan wird vom Appellativum żupan ‘altpolnische Adelstracht’ abgeleitet. Rymut gibt daneben aber auch die Bedeutung ‘naczelnik żupy (okręgu)’ an (Anm. 10). Das zu vergleichende sorb. Župan ist ein alter PN, dem ein Appellativum zu Grunde liegt, das oft als supanin dt. Quellen des Mittelalters erscheint und einen Vertreter der slaw. Oberschicht bezeichnete (Anm. 11). Es bleibt zu fragen, inwieweit dieser politisch-institutionelle Terminus auch in Polen in Gebrauch war und dort zum FN wurde. Das nso. Župan-Areal reicht nur bis zur Spree, die östliche Niederlausitz sowie fast die ganze Oberlausitz kennen diesen Namen nicht. Weiter zu prüfen wäre, ob Zur, Zurek u. dgl., poln. Żur, Żurek u. dgl., alle aus żur in der Bedeutung ‘Sauerteigsuppe, saure Suppe’ zu erklären sind. In dem Appellativum sieht man gewöhnlich eine Entlehnung aus mhd. mnd.sūr ‘sauer’. Vielleicht liegt einigen wenn nicht gar allen von ihnen urslaw. dial. *žurъ ‘Brennen, Zorn, Ärger’ zu Grunde, dazu apoln. żurzyć się ‘sich ärgern, erzürnen; wettern’, kaschub. żur ‘Ärger, Zorn’, tschech. dial. požuřit sa ‘sich ärgern, in Zank geraten’, russ. žurit´ ‘schelten’ (Anm. 12). Darauf führt man die russ. FN Žuraj, Žurba, Žurilo u. a. zurück (Anm. 13). Wir hätten es dann mit einem Übernamen für einen ärgerlichen, zornigen Menschen zu tun. Den PN Žur enthalten übrigens der Oberlausitzer ON Säuritz, oso. Žuricy, 1357 Zuricz, und der poln. ON Żurzyce, erstmals überliefert um 1300, dann 1360.
Das Werk schließt mit einem Beitrag von Johannes Hoffmann über die Geschichte der Polen im Ruhrgebiet seit der Weimarer Republik bis in die Gegenwart (485-497). Während die poln. Bevölkerungsgruppe zu Beginn des Ersten Weltkrieges noch insgesamt 460.000 Personen umfasste, schrumpfte sie bis zum Jahre 1923 auf ca. 150.000. Im Zweiten Weltkrieg verschleppten die Nationalsozialisten Hunderttausende Polen zur Zwangsarbeit nach Deutschland, sehr viele von ihnen kamen ins Ruhrgebiet. Nach dem Kriege blieben rund 40.000 von ihnen in Deutschland. Im Zuge der Familienzusammenführung reisten 1956-1957 etwa 200.000 Deutsche aus Polen aus, zusammen mit ihnen aber auch eine beträchtliche Anzahl polnischer Sprecher. Wegen der sich in Polen verschlechternden wirtschaftlichen Lage emigrierten viele weitere Polen nach Deutschland, zwischen 1980 und 1990 rund eine Million. Man schätzt die Zahl der „Polnischsprachigen“ in der Bundesrepublik heute auf annähernd zwei Millionen, also auf etwa 2,5% der Gesamtbevölkerung. Hoffman gibt abschließend einen Literaturüberblick zur musealen Präsentation der Geschichte der Ruhrpolen von 2000-2010 und nennt in einem weiteren Abschnitt „Helden“ mit poln. Namen aus dem Ruhrgebiet in Funk, Fernsehen und Sport. Das Buch endet mit einem Literaturverzeichnis und einer Liste der Ausstellungskataloge des Jahres 2010 mit Bezug zur Geschichte der Ruhrpolen (498-500).
Das „Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet“ reicht in seiner Bedeutung weit über die im Titel genannte Region hinaus. Im dt. Sprachgebiet dürften nur wenige FN poln. Ursprungs vorkommen, für die das Lexikon keine Erklärung bereithält. Es ist als ein grundlegender Beitrag zur dt. Familiennamenforschung zu werten, denn die in das Deutsche integrierten Namen haben auf synchroner Ebene heute als Bestandteil des dt. Familiennamenschatzes zu gelten. Den Verfassern gebührt für ihre herausragende Leistung Dank und Anerkennung.
Anmerkungen
(1) Siehe hierzu die Rez. von W. Wenzel, in: Namenkundliche Informationen 91/92 (2007) 317-320. Beide Bände würdigte inzwischen ausführlich K. Hengst, in: Lětopis 59 (2012) H. 1, 134-140.
(2) W. Wenzel, Westslawische Zunamen für den Waldbienenzüchter im Deutschen, in: Zunamen. Zeitschrift für Namenforschung 3 (2008) H. 2, 151-165. Im Lexikon finden sich an weiteren Namen mit dieser Bedeutung MiodeckiMiodekMioduchowski und Pasieka. Sie alle beruhen auf Metonymie. Hierher gehören wahrscheinlich noch PscholkowskiPszczola und Pszolka, sofern es sich bei ihnen nicht um gewöhnliche Übernamen handelt (für einen wie eine Biene fleißigen Menschen).
(3) Grundsätzlich und mit zahlreichen Beispielen hierzu W. Wenzel, Probleme der anthroponymischen Homonymie, in: W. Wenzel, Slawen ּ Deutsche ּ Namen. Hrsg. v. S. Brendler u. K. Hengst, Hamburg 2009, 47-57.
(4) Duden. Familiennamen. Bearb. v. R. und V. Kohlheim, Mannheim Leipzig Wien Zürich 2000, 553, 560.
(5) H. Schuster-Šewc, Historisch-etymologisches Wörterbuch der ober- und niedersorbischen Sprache, Bde. I-IV, Bautzen 1978-1989, hier Bd. III, 1283 f.
(6) K. Rymut, Nazwiska Polaków, Bd. II, Kraków 2001, 410.
(7) W. Wenzel, Studien zu sorbischen Personennamen, Tl. II/2, Bautzen 1992, 95 f.; Ders., Niedersorbische Personennamen aus Kirchenbüchern des 16. bis 18. Jahrhunderts, Bautzen 2004, 357, 359, 366; N. M. Tupikov, Slovar´ drevnerusskich ličnych sobstvennych imen. Mit einem Nachwort von E. Eichler, Leipzig 1989, 354.
(8) W. Wenzel, Niedersorbische Personennamen (wie Anm. 7) 332.
(9) W. Wenzel, Studien zu sorbischen Personennamen (wie Anm. 7) 156.
(10) K. Rymut, Nazwiska Polaków (wie Anm. 6) 765.
(11) W. Wenzel, Die soziale Differenzierung der Niedersorben im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit im Spiegel ihrer Zunamen, in: Lětopis 58 (2011) H. 2, 108-134, hier 110 und Karte 1.
(12) H. Schuster-Šewc, Historisch-etymologisches Wörterbuch (wie Anm. 5) Bd. IV, 1812, 1814 f.
(13) I. M. Ganžina, Slovar´ sovremennych russkich familij, Moskva 2001, 200 f.
Empfohlene Zitierweise
Walter Wenzel: [Rezension zu] Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet, Band 2: M-Z, bearb. von Barbara Czopek-Kopciuch u.a., Kraków 2010, in: Onomastik-Blog [06.03.2014]

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