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Sunday, June 12, 2016

Rez.: Skizzen zur urslawischen Anthroponymie. Teil II



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Viktor Petrovyč Šul’gač: Narysy z praslovʼjans’koï antroponimiï. Častina II. [Skizzen zur urslawischen Anthroponymie. Teil II], Kyïv: Instytut ukraïns’koï movy 2015, 500 S.

Rezensiert von Walter Wenzel, Leipzig
Die ukrainische Onomastik hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt, sowohl auf dem Gebiet der Gewässer- und Ortsnamenforschung als auch der Anthroponomastik. Zu ukrainischen Hydronymen legten vor allem O. P. Karpenko sowie S. O. Verbyč wertvolle Untersuchungen einzelner Regionen vor, urslawische Gewässernamen behandelte V. P. Šul’gač. (Anm. 1) Die ukrainische Toponomastik erfuhr eine wertvolle Bereicherung durch die historisch fundierte Monographie von V. O. Jacij über die Ortsnamen des Gebietes von Ivano-Frankivs’k (Westukraine). (Anm. 2) Gleichzeitig erscheinen alljährlich die „Studiï z onomastyky ta etymologiï“ [Studien zur Namenforschung und Etymologie], der letzte Band in Kiew 2014.  Darüber hinaus publizierte man die gesammelten Schriften einer solch bekannten Forscherin wie I.  M. Željeznjak, anderen widmete man jeweils einen Band mit verschiedenen Einzelstudien, so den Sprachwissenschaftlern und Namenkundlern O. S. Stryžak und V. P. Petrov. (Anm. 3) Letzterer forschte u. a. zur Rodungsterminologie, ein für die slawische Ortsnamenkunde und Kulturgeschichte wichtiges Thema, dem sich in dem ihm gewidmeten Sammelband auch E. L. Babyčeva zuwendet. Bereits 1999 erschien die beachtenswerte Monographie „Onomastyka Polissja“, in der es immer wieder auch um Gewässernamen geht. (Anm. 4)


Die hier zu besprechenden „Skizzen zur urslawischen Anthroponymie“ stellen die Fortsetzung eines gleichnamigen Bandes aus dem Jahre 2008 dar. (Anm. 5) Die Abhandlung gliedert sich in drei Teile, denen Ergänzungen und Verzeichnisse der Literatur und Quellen sowie der Abkürzungen folgen, den Abschluss bildet ein „Register der Uranthroponyme“. Im ersten Teil (S. 8–126) untersucht Verf. 20 urslawische anthroponymische Basen, beginnend mit *Baj- und endend mit *Vorp-. Dabei werden alle bisher nachweisbaren Ableitungen aus den einzelnen slawischen Sprachen vorgeführt, historisch dokumentiert und mit Bezugnahme auf ein etymologisches Wörterbuch erklärt, so unter *Baj-: *Baja, *Bajь, *Bajakъ, *Bajačь, *Bajanъ und viele weitere, darunter Komposita wie Bělobajь, *Krasьnobajь u. a., mit Belegen meist aus dem Ostslawischen, aber auch andere Slawinen werden einbezogen, darunter öfters das Sorbische. So kommen bei der Basis *Dъrd- sorb. Dorda, Dorděj und Derdula zur Sprache. Unter urslaw. *Tъrla, *Tъrlъ, *Tъrlo und ihren Ableitungen steht auch sorb. Tirlak, nach A. Muka Tyrlak. Dieser Zuname kommt noch öfters vor und wurde zusammen mit Tyrlic und Tyrlika aus nso. tyrlikaś ʻtrillern, trällern; Liebeständeleien treibenʼ hergeleitet. (Anm. 6)
Der zweite Teil (S. 127–214) hat die Reflexe von idg. *ter- im slaw. Personennamenschatz zum Gegenstand. Unter den „Uranthroponymen“ mit der Wurzel *Terb- erscheinen neben vielen anderen auch sorb. Trebik, Trebiš und Třebuš (Letzteres nach A. Muka), ohne dass in diesen wie auch in mehreren weiteren Fällen eindeutig zum Ausdruck kommt, dass es sich hier um Kurzformen von solchen Vollnamen wie Treboslav, Trebomir oder ähnlichen handelt.

Auf dasselbe Problem stößt man im dritten Teil der „Skizzen…“ (S. 215–380), den „Anthroponymischen Studien“, bei den zahlreichen Ableitungen von der Basis *Ľub- < urslav. *ľubъ ʻlieb, teuerʼ. Auch hier liegen meist Kurzformen von solchen häufigen Vollnamen wie *Ľubomirъ, *Ľuboslavъ und anderen vor, so bei den mit angeführten sorb. Libak und Libiš, zu denen Lubak, Lubiš und viele weitere zu ergänzen wären. (Anm. 7) Man vermisst solche Koseformen wie *Ľuchъ und *Ľušъ, die gleichfalls aus Vollnamen mit dem Vorderglied *Ľud- oder *Ľut- hervorgegangen sein können. Verf. führt auch immer wieder Vollnamen mit an, so *Ľubomirъ, *Ľudoslavъ, *Ľutomyslъ, darunter in Ortsnamen verbaute. Bei den Namen mit der Negationspartikel Ne- wäre ausdrücklich zu vermerken gewesen, dass es sich, wie z. B. bei *Neľuba, *Neľudъ und *Neľutъ (S. 342), um apotropäische Rufnamen handelt. Bei den mit *Čьrn- ʻschwarzʼ gebildeten Zusammensetzungen wie z. B. *Čьrnonogъ, *Čьrnonosъ und vielen weiteren (S. 347–353) ist oft schwer zu entscheiden, welche man zu den zweigliedrigen alten Vollnamen rechnen kann oder wo spätere appellativische Komposita in der Funktion von Übernamen vorliegen. So werden z. B. skr. Črnobrat und tschech. Črnohost von K. Rymut zu den Vollnamen gerechnet, (Anm. 8) bei vielen der von V. P. Šul’gač aufgeführten Namen dürften wir es aber mit appellativischen Bildungen zu tun haben, die dann die Rolle von Personennamen übernahmen. Die Zahl dieser vom Verf. zusammengetragenen Namen (S. 344–380) ist erstaunlich und stellt zweifellos eine wichtige Bereicherung der slaw. Wortbildungslehre dar. Am Ende dieser langen Liste alter Komposita steht *Žьrnosěkъ ʻMühlsteinhauerʼ, meist in Ortsnamen nachweisbar. Zu Grunde liegt ein Berufsname; in den Plural erhoben bilden diese Formationen zusammen mit zahlreichen gleichartigen Strukturen den archaischen Ortsnamentyp „Kosobudy/Žornosěky“. (Anm. 9)

Das Buch beschließen ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 381–461), ein Abkürzungsverzeichnis (S. 462–463) sowie ein Register der „Uranthroponyme“ (464–500). So bezeichnet Verf. die von ihm erschlossenen Formen, gewonnen aus einem reichen Material aus allen slawischen Sprachen. Dabei erhebt sich immer wieder die Frage, ob die betreffenden Konstruktionen wirklich bis in das Urslaw. zurückreichen und ob nicht in vielen Fällen jüngere Bildungen vorliegen, in ihrem Vorkommen beschränkt auf eine Gruppe slawischer Sprachen oder gar ein einzige Slawine. Das trifft sicherlich auf eine Anzahl von Namen zu, die Verf. nur aus dem Ostslawischen, und da auch oft recht spät, nachweisen kann, so z. B. *Vъlkobojь, ukr. und russ. Volkoboj, und viele weitere mit dem Vorderglied aus urslaw. *vьlkъ ʻWolfʼ.

Das Werk von V. P. Šul’gač stellt einen wichtigen Beitrag zur slawischen Personennamenforschung dar. Bei der Darstellung, auch in der Form von „Skizzen…“, hätte man sich eine stärkere Beachtung des Aufbaues der urslaw. Anthroponymie, die sich bekanntlich in Vollnamen, in von ihnen abgeleitete Kurz- und Koseformen sowie in unmittelbar auf Appellativen fußende Übernamen gliedert. Von Letzteren sind manche apotropäischen Rufnamen nur schwer abzugrenzen. (Anm. 10) Kaum nennenswert dürfte auf Grund der nur gering entwickelten Arbeitsteilung in der spätgentil-frühfeudalen Agrargesellschaft die Zahl der aus Berufsbezeichnungen hervorgegangenen Personennamen gewesen sein, wie z. B. *Kovalь, *Kovarь, *Kovačь und *Gъrnьčarь.
Anmerkungen
(1) Karpenko, Ol’ga Petrivna: Gidronimikon central’nogo Polissja, Kyïv 2003; Verbyč, Svjatoslav Oleksijovyč: Gidronimija basejnu Verchn’ogo Dnistra, Etymologičnyj slovnyk-dovidnyk, Kyïv 2007; ders.: Gidronimija basejnu Seredn’ogo Dnistra, Etymologičnyj slovnyk, Luc’k 2009; Šul’gač, Viktor Petrovyč: Praslovʼjans’kyj gidronimnyj fond (fragment rekonstrukciï), Kyïv 1998.
(2) Jacij, Vasil’ Oleksandrovič: Ojkonimija Ivano-Frankivs’koï oblasti: istoryko-etymologičnyj slovnyk, Kyïv 2015. Ausführlich wird darin S. 72–78 auch der Orts- und Landschaftsname Galič, dt. Galizien, erstmals 898 erwähnt, behandelt.
(3) Željeznjak, Iryna Mychajlivna: Slovʼjans’ka antropononimika, Kyïv 2011; Doslidžennja z onomastyky, Zbirnyk naukovych prac’, Prysvjačeno pamʼjati Oleksija Syl’vestrovyča Styžaka, Red. D. G. Bučko u. a., Kyïv 2008; Slavica ta Baltica v onomastyci Ukraïny, Red. I. M. Željeznjak, Kyïv 1999.
(4) Onomastyka Polissja, Red. I. M. Željeznjak, O. P. Karpenko, V. P. Šul’gač, Kyïv 1999.
(5) Šul’gač, Viktor Petrovyč: Narysy z praslovʼjans’skoï antroponimiï, Častyna I, Kyïv 2008. Siehe dazu die Rez. von W. Wenzel, in: Namenkundliche Informationen 95/96 (2009), S. 334–336.
(6) Wenzel, Walter: Studien zu sorbischen Personennamen, Tl. II/2, Historisch-etymologisches Wörterbuch, S. 144.
(7) Wenzel, Walter: Niedersorbische Personennamen aus Kirchenbüchern des 16. bis 18. Jahrhunderts, Bautzen 2004, S. 263–265.
(8) Rymut, Kazimierz: Szkice onomastyczne i historycznojęzykowe, Kraków 2003,S. 59. Darin findet sich S. 47–55 der wichtige Aufsatz „O potrzebie rekonstrukcji prasłowiańskiego systemu antroponimicznego“.
(9) Zu den altsorbischen Ortsnamen dieses Bildungsmodels siehe Wenzel, Walter: Namen und Geschichte, Hamburg 2014, S. 335–346.
(10) Zu den apotropäischen Rufnamen siehe unter Anm. 9, S. 63–78.
Empfohlene Zitierweise
Walter Wenzel: [Rezension zu] Viktor Petrovyč Šul’gač, Narysy z praslovʼjans’koï antroponimiï [Skizzen zur urslawischen Anthroponymie] Teil II, Kyїv 2015, in: Onomastikblog [10.06.2016], URL: http://www.onomastikblog.de/artikel/ni-rezensionen/skizzen-urslaw-anthroponymie/
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