Tuesday, January 3, 2023

Sektion "Namen in Krisenzeiten / Namenkrisen / Namen in der Krise" (XV. IVG-Kongress 2025)

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Organisatorisches Einreichung: 

ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Ernst (Wien), Assoc. Prof. Dr. Michael Prinz (Uppsala), PD Dr. habil. Barbara Aehnlich (Bremen), Dr. Christian Zschieschang (Cottbus) 

Thema 

Wie lässt sich der Begriff ‘Krise’ sinnvoll konzeptualisieren und onomastisch breit nutzbar machen? Ganz allgemein wird unter einer Krise eine eskalatorische Entwicklung individueller oder kollektiver Natur verstanden, die unterschiedlichste Lebensbereiche und Sprachgebrauchsdomänen betreffen kann. Das Spektrum reicht dabei von persönlichen Lebenskrisen und Beziehungskrisen bis hin zu (politisch, wirtschaftlich oder sozial bedingten) gesellschaftlichen Krisen. Solche Krisen eröffnen in der Regel unterschiedliche Handlungsoptionen, die entweder zu einer weiteren Verschärfung (bis hin zur Katastrophe) führen können oder Chancen zur bewussten Deeskalation und letztlich zur Lösung von Konflikten bieten. 

Das onomastische Potenzial des Themas ist dabei ein zweifaches: Zum einen stellt sich die Frage, wie bestimmte Krisen sich auf onymische Einheiten und/oder Namensysteme auswirken: Auf welche Art und in welchem Umfang reflektieren Namen krisenhafte Entwicklungen und stellen gewissermaßen sedimentiertes Wissen über historische Krisen dar? Wie reagiert das Namensystem dynamisch auf laufende Krisen? Zugleich können Namen aber natürlich auch für eine solche Dynamik konstitutiv sein. Namen besitzen ein inhärentes Konfliktpotenzial, welches für die Entstehung und die Entwicklung einer Krise wesentlich sein kann. So kann etwa in einer Sprechergemeinschaft eine aus einem ethnischen Konflikt resultierende Krise zur Vermeidung ethnisch markierter Rufnamen oder zum freiwilligen Familiennamenwechsel führen. Gleichzeitig kann aber die aus politischen Machtstrukturen resultierende fehlende Sichtbarkeit von z.B. minderheitssprachlichen Orts- und Straßennamen im öffentlichen Raum auch ein Katalysator für die Entwicklung einer Krise sein. 

Angesichts der Vielgestaltigkeit des Phänomens sind unterschiedliche onomastische Themenfelder für den IVG-Kongress denkbar: 

a) Persönliche Krisen: z.B. psychische Lebenskrisen (aufgrund von Schicksalsschlägen, Krankheiten o.ä.), Beziehungskrisen, familiäre Krisen (Beispielthemen: Namenswechsel aufgrund von Identitätskrisen [vgl. Schmidt-Jüngst 2020], Traumata, Flucht oder Vertreibung; Beziehungskrisen und Kosenamen; Pränatalname [vgl. Zastrow 2021] und Fehlgeburt / Benennung von “Sternenkindern”; Pubertät als Krise)

b) Politische und ökonomische Krisen: z.B. Corona als Personen- und Produktname; Wirtschaftskrise der 90er und die Vergabe ostdeutscher Personennamen; Religiös motivierte Diskriminierung aufgrund des Namens; Rufnamen und Flucht; Kriege als Auslöser von Namenwechsel; Namenkonflikte (Eller et al. 2008); Globalisierung als Krise in der Personennamengebung; Schandnamen

c) Ökologische Krisen: z.B. onymisches Greenwashing und Produktnamen; “Absturz” des Vornamens Greta seit 2020; der Spiegel ökologischen Wandels in den geografischen Namen  

d) Epistemische Krisen: Etablierte Wissensbestände (z.B. religiöse oder wissenschaftliche) können durch die Konfrontation mit neuem Wissen eine Krise auslösen, die dann z.B. zu einer religiösen Häresie oder einer wissenschaftlichen Revolution im Stile eines Paradigmenwechsels führen (Beispielthemen: Konfessionelle Namengebung; Humanistennamen (vgl. Kroiß 2021); Namen wissenschaftlicher Theorien)

e) Namenforschung in der Krise: In der Onomastik zeigen sich ebenfalls Krisen. So ist ein starker Rückgang der Ehrenamtlichen zur Erhebung der Namen zu verzeichnen und es stellt sich die Frage, wie der Generationenwechsel in der traditionellen Orts- und Flurnamenforschung vollzogen werden kann. Die toponomastische Forschung wird vor allem im deutschsprachigen Raum kaum noch gefördert und ist kaum noch Bestandteil von germanistischen Lehrstühlen und Professuren (vgl. Prinz 2021). Hier stellt sich die Frage, wie mit dieser Verdrängung aus dem universitären Kontext umzugehen ist.

Für die Sektion sind zwei Tagungstage vorgesehen. Eine Liste potenzieller Referent*innen, die angefragt werden sollen, hängt an, wobei ein Auswahlverfahren anhand einer Themen- und Abstracteinreichung durch die Sektionsverantwortlichen geplant ist.

Mögliche Referent*innen 

1. Peter Ernst (Wien) 

2. Michael Prinz (Uppsala) 

3. Christian Zschieschang (Cottbus) 

4. Barbara Aehnlich (Bremen) 

5. Daniel Kroiß (Mainz) 

6. Miriam Lind (Mainz) 

7. Inga Siegfried-Schupp (Zürich) 

8. Peter Jordan (Wien) / Ross Purves (Zürich) 

9. Anne Zastrow (Rostock) 

10. Martin Graf (Zürich) 

11. Simone Berchtold (Zürich) 

12. Elwys De Stefani (Leuven) / Susanne Günthner / Pepe Droste (Münster) 

13. Michelle Waldispühl (Göteborg) 

14. Volker Kohlheim (Bayreuth) 

15. Martina Heer (Bern) 

16. Erika Windberger-Heidenkummer (Graz) 

17. Helen Christen (Fribourg) 

18. Angela Bergermayer (Wien) 

19. Thomas Lindner (Salzburg) 

20. Márta Müller (Budapest) 

21. Claudia Posch (Innsbruck) 

22. Gerhard Rampl (Innsbruck) 

23. Hubert Bergmann (Wien) 

24. Veronika Štěpánová (Prag)


Literatur 

Eller, Nicole, Stefan Hackl & Marek Ľupták (2008): Namen und ihr Konfliktpotential im europäischen Kontext (Regensburger Studien zur Namenforschung 4). Regensburg: edition vulpes. 

Kroiß, Daniel (2021): Humanistennamen. Entstehung, Struktur und Verbreitung latinisierter und gräzisierter Familiennamen (Lingua Academica 6). Berlin, Boston: De Gruyter. 

Prinz, Michael (2021): Germanistische Toponomastik gestern und heute: Eine forschungsgeschichtliche Annäherung. In: Kathrin Dräger, Rita Heuser & Michael Prinz (Hrsg.), Toponyme: Standortbestimmung und Perspektiven (Reihe Germanistische Linguistik 326), Berlin, Boston: De Gruyter, 3-28. 

Schmidt-Jüngst, Miriam (2020): Namenwechsel. Die soziale Funktion von Vornamen im Transitionsprozess transgeschlechtlicher Personen (Empirische Linguistik 14). Berlin, Boston: De Gruyter. 

Zastrow, Anne (2021): Böhnchen, Fritzi, Rumpel – Linguistische Aspekte von Pränatalnamen. In: Namenkundliche Informationen 113, 301-322


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