Bereits 1989 beschreibt Alia die Benennung von Orten und Personen als eine "politische Aktivität universeller Signifikanz" (Alia 1989, IV). Bourdieu (1991: 105) geht davon aus, dass es keine sozialen Akteur*innen gibt, die nicht danach streben, "to have the permanent power to name and to create the world through naming". Dennoch ist mehr als 30 Jahre später die politische Dimension von Namengebung, Namenverwendung und Namenentzug wenig erforscht. Eine Ausnahme bildet die Kolonialtoponomastik, die sich im Zuge postkolonialer Aufarbeitung mit der onymischen Raumnahme in Kolonialgebieten und deren Reflexen in der heimischen Straßennamengebung befasst (z. B. Stolz/Warnke 2018; Ebert 2021). Kolonialpolitischen Regelungen zur Benennung von Personen wird hingegen weniger Aufmerksamkeit zuteil, obwohl diese das Inventar von Ruf- und Familiennamen in einigen Regionen ebenfalls tiefgreifend verändert haben (z. B. Alia 2006, Lindgren 2011).
Namenpolitik außerhalb kolonialer Kontexte spielt bisher wissenschaftlich eine untergeordnete Rolle - eine Ausnahme bildet z. B. der Sammelband von Puzey/Kostanski (2016). Nichtsdestotrotz ist Namenpolitik in vielen Bereichen des Alltags omnipräsent, etwa im Kontext von Migration (wenn bei Einbürgerung die Annahme eines heimischen Namens vorausgesetzt wird), bei der Ehe- und Familiennamenwahl, bei Vorgaben bzgl. der Zulässigkeit von Vornamen (z. B. hinsichtlich Geschlechtsmarkierung oder Anstößigkeit von Namen), bei Namenverboten (z. B. dem Verbot ausländischer Vornamen in einigen Ländern) oder dem Zwang zum Tragen bestimmter Namen (z. B. für die jüdische Bevölkerung im Nationalsozialismus, vgl. Friedländer 1998). Auch im Kontext der Erinnerungskultur spielt Namenpolitik eine große Rolle, wenn etwa Straßen, Plätze und Gebäude nach Personen oder Ereignissen benannt werden - oder wenn diese Namen wieder aberkannt werden, weil die namengebenden Personen in politische Ungnade gefallen sind bzw. Aspekte ihres Lebens zutage treten, die eine solche Ehrung problematisch machen (Nemec/Wenninger 2019). Namen, ihre Vergabe und ihre Verwendung sind somit ein hochgradig politischer bzw. politisierter Gegenstand, der in gesellschaftliche Wertvorstellungen und Machtkonstellationen eingebunden ist.Diesem Zusammenhang von Namen, Gesellschaft, Macht und Politik möchte sich die Namentagung widmen, die vom 20. bis zum 22.09.2023 an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz stattfinden wird. Eingeladen sind Beiträge aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich mit Eigennamen als politischen Instanzen empirisch wie theoretisch beschäftigen.
Organisationsteam:
Dr. Daniel Kroiß (TU Darmstadt/Institut für geschichtliche Landeskunde Mainz)
Dr. Miriam Lind (Universität Mainz)
Lena Späth (Universität Mainz)
Wir bitten um die Einsendung von Abstracts (Länge maximal 500 Wörter) bis zum 31.12.2022 an: namentagung2023{at}uni-mainz.de.
Literatur:
Alia, Valerie (1989): Towards a Politics of Naming. Dissertation, York University, Ontario/Kanada.
Alia, Valerie (2006): Names and Nunavut. Culture and Identity in the Inuit Homeland. New York, Oxford.
Bourdieu, Pierre (1991): Language and Symbolic Power. Ed. and introd. by John B. Thompson. Cambridge.
Ebert, Verena: Koloniale Straßennamen. Benennungspraktiken im Kontext kolonialer Raumaneignung in der deutschen Metropole von 1884 bis 1945. Berlin, Boston.
Friedländer, Saul (1998): Das Dritte Reich und die Juden. Bd. 1: Die Jahre der Verfolgung, 1933-1939. München.
Lindgren, Anna-Riitta (2011): Parallelle personnavn i et trespråklig miljø. In: NOA norsk som andrespråk 27 (1), 33-58.
Nemec, Birgit/Wenninger, Florian (Hgg.) (2019): Geschichtspolitik im öffentlichen Raum: zur Benennung und Umbenennung von Straßen. Göttingen.
Puzey, Guy/Konstanski, Laura (2016): Names and Naming. People, Places, Perceptions and Power. Bristol u. a
Stolz, Thomas/Warnke, Ingo (Hgg.) (2018): Vergleichende Kolonialtoponomastik. Strukturen und Funktionen kolonialer Ortsbenennung. Berlin, Boston.
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