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Rez.: Erlangen. Ehemaliger Stadt- und Landkreis
Dorothea Fastnacht: Erlangen. Ehemaliger Stadt- und Landkreis (= Historisches Ortsnamenbuch von Bayern. Mittelfranken. Band 7) München: Kommission für bayerische Landesgeschichte 2015, 668 S., 1 Karte. – ISBN: 978-3-7696-6869-8, Preis: EUR 49,00.
In ihrem nunmehr dritten „Historischen Ortsnamenbuch von Bayern“ hat Dorothea Fastnacht nach den oberfränkischen Landkreisen Ebermannstadt (Dissertation) und Staffelstein jetzt den ehemaligen mittelfränkischen Stadt- und Landkreis Erlangen bearbeitet. In gewohnter sprachwissenschaftlicher wie historischer Genauigkeit werden die Namen aller bestehenden und abgegangenen Siedlungen des Untersuchungsgebietes belegt und sprachlich erklärt, wobei die onomasiologischen Ergebnisse zusammen mit den geschichtlichen Nachrichten unter Heranziehung ur- und frühgeschichtlicher, archäologischer und geographischer Befunde auch zur Darstellung der Siedlungsgeschichte im Einleitungsteil dienen. Damit folgt der Band in Aufbau und Methode den Richtlinien zur Bearbeitung des „Historischen Ortsnamenbuches von Bayern“ von 1990 (Anm. 1). Die Ergänzungen dazu von 2011 (Anm. 2) fordern allerdings zu knappen Belegreihen auf, was Fastnacht weitgehend ignoriert, jedoch mit dem schlüssigen Argument, dass für das untersuchte Gebiet kein Band des Historischen Atlas von Bayern vorliegt. Tatsächlich sind lediglich die drei 1967 in die Stadt Erlangen eingegliederten Dörfer Häusling, Kosbach und Steudach im Atlas Höchstadt-Herzogenaurach (Anm. 3) aufgeführt, ein Band Erlangen existiert nicht. Daher bringt Fastnacht in den Ortsartikeln nicht nur die wichtigen Erstbelege und die Ortsnamenvarianten, sondern sie stellt auch sehr umfangreiches Material zur Besitzgeschichte der jeweiligen Siedlung vor. Somit liefert sie sozusagen nebenbei eine vorzügliche Quellensammlung, die für die Lokalgeschichte von fundamentaler Bedeutung ist und die auf Grund der zahlreichen angeführten Personennamen auch der Familienforschung dienen kann. Das so entstandene (ge-)wichtige Opus erläutert rund 100 Orts- und Gewässernamen und umfasst 533 Seiten zuzüglich einer 135-seitigen Einleitung. Für den sprachwissenschaftlich nicht gebildeten Leser mag diese Detailfülle neben dem umfangreichen Anmerkungsapparat „dank aller Gelehrtheit erschlagend“ wirken, wie der Berichterstatter der Erlanger Nachrichten in seiner Reportage über die Präsentation des Bandes am 10.3.2016 in Schloss Atzelsberg bei Erlangen feststellte. (Anm. 4) Dennoch, so fährt der Verfasser des Zeitungsartikels sinngemäß fort, ist Dorothea Fastnacht ein neues Standardwerk gelungen, mit dem sich die Sprachwissenschaftlerin selbst ein Denkmal gesetzt hat.
Die Einleitung bringt nach einem Überblick über die geographischen Grundlagen und die archäologische Befundlage eine Besprechung der drei vorgermanischen Gewässernamen Regnitz, Pegnitz und Zenn. Zu diesen werden die unterschiedlichen Forschungsmeinungen vorgestellt und gegeneinander abgewogen. Relativ neu scheint die Deutung ‘die Glänzendeʼ (von der uridg. Verbalwurzel *radh ‘strahlen, glänzenʼ) für die Regnitz und die mögliche Herleitung des Namens Pegnitz von der idg. Wurzel *bhāg- ‘Bucheʼ. Beim keltischen Gewässernamen Zenn hätte die herangezogene altbritischen Form *Tan- vielleicht mit Greule (Anm. 5) noch als Verbaladjektiv zu *teh2 ‘tauen, schmelzenʼ bedacht werden können.
Der Erlanger Raum ist in mehrfacher Hinsicht zweigeteilt, wie Fastnacht im Vorwort behauptet und mit Hinweisen auf die beiden Hauptphasen der Siedlungsgeschichte im Gebiet des Altlandkreises Erlangen belegt. Abgesehen von der später behandelten neuzeitlichen Nachsiedlung werden drei Hauptphasen der Besiedlung des Untersuchungsgebiets im Spiegel der Ortsnamen dargestellt.
Für die erste Phase bis etwa 750 n. Chr. liegen keine schriftlichen Namenbelege vor. Der Autorin gelingt es jedoch, durch Darstellung großräumiger Zusammenhänge, hier speziell der durch die Regnitzfurche westlich des Flusses verlaufenden sog. Frankenstraße, sowie durch Analyse der Gewässernamen ein schlüssiges Bild der frühen Besiedlung zu entwerfen. Für die folgende Phase von der Karolingerzeit bis zur Gründung des Bistums Bamberg 1007 sind mit Büchenbach (996), Erlangen (1002), Kleinseebach, Möhrendorf und Wellerstadt (jeweils 1007) nur fünf Ortsnamen im Untersuchungsgebiet urkundlich gesichert. Dennoch entsteht beim interessierten Leser eine klare Vorstellung von der Besiedlung des Erlanger Gebietes bis zur Zeit der Bamberger Bistumsgründung. Dies geschieht durch die Erklärung der Gaunamen, die Diskussion der Gaugrenzen, die Darstellung der Forstorganisation und die ausführliche Erläuterung von älteren Ortsnamenschichten mit Grundwörtern -dorf, -bach, -brunn, -bruck, -bürg sowie Neuses. All diese Orte liegen entlang bzw. nahe der Regnitz, wo deutlich früher gesiedelt wurde. Die Akribie, mit der Dorothea Fastnacht vorgeht, zeigt sich besonders augenfällig in der ausführlichen Auseinandersetzung mit der vollständig abgedruckten und neu übersetzten Urkunde von 1002 (Anm. 6), in welcher der Hauptort des Untersuchungsgebietes erstmals genannt wird. Dabei geht es nicht um die Deutung des Namens Erlangen, das geschieht im Hauptteil ausführlich und genau anhand einer zehnseitigen Belegreihe, sondern um die Frage, ob darin das westlich der Regnitz gelegene Alterlangen oder das östlich gelegene Erlangen angesprochen ist. Hier ist m. E. zu überlegen, ob eine solche historische Diskussion nicht den Rahmen eines Ortsnamenbuches sprengt und besser in einer getrennten Veröffentlichung Platz fände. Als dritter Abschnitt der Besiedlungsgeschichte wird die hochmittelalterliche Rodungsphase vom 11. bis zum 13. Jahrhundert betrachtet, belegt u. a. durch die typischen Rodungsnamen auf -reuth wie Bubenreuth, Uttenreuth oder Kalchreuth. Dass auch in diesem Kapitel die Geschichte zentral gesehen wird, erweist sich in der Zweiteilung der Besprechung von Ortsnamen mit dem Grundwort -dorf, die z. T. schon im 2. Abschnitt, z. T. aber erst hier in ihrer siedlungsgeschichtlichen Relevanz analysiert werden.
Von sehr großer Bedeutung für die sich entwickelnde Siedlungsstruktur ist, wie Fastnacht in einem eigenen Kapitel erläutert, die Pfarreiorganisation. Die über den engeren Untersuchungsbereich hinausreichende Kartenskizze zeigt sehr anschaulich die Relevanz der Urpfarreien und ihrer Filialen für den Gang der Besiedlung.
Deutlich zweigeteilt ist der Sprachraum des Altlandkreises Erlangen, und zwar durch die knapp südlich der Stadt Erlangen verlaufende „Nordbairische Westschranke“. Diese von Hugo Steger (Anm. 7) aufgezeigte Sprachgrenze wird im vorliegenden Ortsnamenbuch in einem eigenen Kapitel anhand einer Reihe von Lauten differenziert bestätigt. Dabei wird das Oberostfränkisch im Norden des Untersuchungsgebiets der Sprache des „Nürnberger Raums“, eines fränkisch-bairischen Interferenzgebiets, im Süden gegenübergestellt. Gelegentliche „Grenzüberschreitungen“, wie sie sich z. B. in Mundart- und Schreibformen des Namens Marloffstein zeigen, werden eingehend erläutert. Dabei erbringt Fastnacht den Nachweis, dass vor -r a-Schreibungen für mhd. ō nicht nur im Würzburger (Anm. 8), sondern auch im Erlanger Raum vorkommen. Darüber hinaus wird auf den Einfluss des Wirtschaftszentrums Nürnberg, auf die Sprache gerade des Grenzraums verwiesen. Dass ein mundartliches Überschneidungsgebiet zu Identitätsproblemen bei den Bewohnern führen kann, verdeutlicht Fastnacht an einem Zitat des Aeneas Silvius Piccolomini von 1440, das dem geneigten Leser nicht vorenthalten werden soll und übersetzt lautet: „Die Nürnberger wollen weder als Baiern noch als Franken angesehen werden, sondern als ein dritter besonderer Stamm.“
Nun zu den Ortsartikeln in Teil B: Sie bringen anhand umfangreicher Belegreihen eine äußerst sorgfältige Analyse des jeweiligen Namens. Sofern eine eindeutige Erklärung nicht möglich ist, werden die Alternativen exakt durchgespielt, wie z. B. bei Rathsberg, das 1391 (Lehenbuch 1398–1421) erstmals als Ratzberg schriftlich überliefert ist. Die Autorin bespricht hier die möglichen Bestimmungswörter, den mhd. PN Rātzo (zu ahd. rāt ‘Ratʼ), den PN *Rad/*Rat (zum Adj. ahd. rad ‘schnell, geschwind, raschʼ), den Übernamen Ratz- und den Tiernamen mhd./oberdt. Ratz(e) ‘Ratteʼ und begibt sich darüber hinaus noch auf die Suche nach einem möglichen Namengeber in den einschlägigen Archivalien. Immer wieder werden Vergleichsnamen herangezogen, vor allem wenn es gilt, verbreitete, aber falsche Ortsnamendeutungen zu widerlegen. Als Beispiel dafür sei Möhrendorf genannt, das von der PN-Kurzform *Mardo herzuleiten ist und nicht vom stark flektierenden PN Martin, wie zuletzt Maas (Anm. 9) meinte und zuvor der ehemalige Erlanger Stadtarchivar Johannes E. Bischoff. Dessen nachgelassene Manuskriptfragmente hat Fastnacht für ihre Arbeit heranziehen können, doch entsprechen diese in historischer Genauigkeit und sprachwissenschaftlicher Kompetenz nicht immer den aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen.
Wirkliche Verbesserungsvorschläge an dem hervorragenden Erlangen-Buch von Dorothea Fastnacht kann der Rezensent nicht liefern. Zwei kleine Anmerkungen seien aber gestattet.
Der dem ON Frauenaurach zugrunde liegende und zutreffend erläuterte Gewässername Aurach ist nicht 1008 erstmals bezeugt, sondern sicher erst 1069 (Anm. 10). Im herangezogenen Beleg (MGH DD Heinrich II., Nr. 174) identifizieren die Herausgeber „Aurach“ irrig als die „mittlere“ bzw. bei Bundschuh (Anm. 11) „größere Aurach“, was noch v. Reitzenstein (Anm. 12) übernimmt. Dabei meint die Urkunde die „nördliche“ bzw. „kleinere Aurach“, die nahe Pettstadt bei Bamberg in die Regnitz mündet. Erich v. Guttenberg hat auf diesen Fehler in seinen Bamberger Bischofsregesten hingewiesen. (Anm. 13)
Der zweite Hinweis bezieht sich auf den Gewässernamen die Seebach, den v. Reitzenstein (Anm. 14) irrig zum GW -bach stellt, bzw. den Ortsartikel Kleinseebach. Hier könnte auf den bereits im 9. Jahrhundert (Kop. 1160) in der Fuldaer Tradition (Anm. 15) bezeugten Ortsnamen Sebach hingewiesen werden, der indirekt den Gewässernamen belegt und als Großenseebach im Altlandkreis Höchstadt a. d. Aisch identifiziert wird, das knapp 10 km südwestlich von Kleinseebach liegt. Da Großenseebach erst 1348 wieder urkundlich fassbar ist und die Besiedlungsgeschichte alte Siedlungen primär in der Regnitzfurche erwarten lässt, könnte trotz nicht belegten Fuldischen Besitzes ein Bezug des genannten Belegs zu Kleinseebach erwogen werden (vgl. auch die Vorbemerkung zu Wellerstadt).
Im Rahmen der Präsentation des Ortsnamenbuchs Erlangen bekam Dorothea Fastnacht von Prof. Dr. Debus, Kiel, den Preis der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Förderung der deutschen Namenforschung überreicht. Wie verdient diese Auszeichnung ist, kann der interessierte und kundige Leser des Werkes sehr gut nachempfinden, denn mit dem Band Erlangen hat die Autorin ein Standardwerk geschaffen, an dem niemand vorbeikommt, der sich historisch oder sprachlich mit Franken oder speziell dem Erlanger Raum beschäftigt.
(2) Wolfgang Janka, Konzeption und Methodik des Historischen Ortsnamenbuchs von Bayern (HONB), in: Ziegler, Arne / Windberger-Heidenkummer, Erika (Hg.), Methoden der Namenforschung. Methoden, Methodik und Praxis, Berlin 2011, 169–180.
(3) Hanns Hubert Hofmann, Höchstadt-Herzogenaurach (= Historischer Atlas von Bayern, Franken, Heft 1, München 1951).
(4) Peter Millian, Historische Ortsnamenkunde als Heimat-Wegweiser, in: Erlanger Nachrichten, 26.3.2016, 35.
(5) Albrecht Greule, Rezension zu Wolf-Armin Frhr. v. Reitzenstein, Lexikon fränkischer Ortsnamen, Herkunft und Bedeutung, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken, München 2009, in: BONF 47 (2010), 97 Langenzenn, Obernzenn.
(6) MGH DD Heinrich II., Nr. 3.
(7) Hugo Steger, Sprachraumbildung und Landesgeschichte im östlichen Franken. Das Lautsystem der Mundarten im Ostteil Frankens und seine sprach- und landesgeschichtlichen Grundlagen (= Schriften des Instituts für fränkische Landesforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg 13), Neustadt/Aisch 1968.
(8) Ebd. 138.
(9) Herbert Maas, Mausgesees und Ochsenschenkel, Kleine nordbayerische Ortsnamenkunde, 3., aktualisierte Aufl., Nürnberg 1995, 152.
(10) 1069 Grenzbeschreibung: vom Zusammenfluss der Retnezae und Vrae iuxta Vram hinauf bis zum Hamerbach (BayHStA KsSelekt, Nr. 417; Reg. Bbg., Nr. 406).
(11) J[ohann] K[aspar] Bundschuh, Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Franken (…), 6 Bde., Ulm 1799/1804, Bd. I, Sp. 206 u. VI, Sp. 602 (Gegensatz » die kleinere«: I, Sp. 207, u. VI, Sp. 602).
(12) Wolf-Armin Frhr. v. Reitzenstein, Lexikon fränkischer Ortsnamen, Herkunft und Bedeutung, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken, München 2009, 29.
(13) Erich Frhr. v. Guttenberg (Bearb.), Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Bamberg (VGfG, VI. Reihe, [Bd. 2], Würzburg 1963, Nr. 76.
(14) Wie Anm. 12, 888.
(15) Codex Eberhardi I, 237 (Tr. Fulda, c. 4, Nr. 41); Datierung nach v. Reitzenstein (s. o.), 88. Nach der Dissertation von L. Clemm (Der Güterbesitz des Klosters Fulda im östlichen Franken 743–1160, Marburg 1920) bezieht das Register des Codex Eberhardi und mit ihm v. Reitzenstein, Franken, 88, das o. g. „Sebach“ auf Großenseebach.
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Rez.: Erlangen. Ehemaliger Stadt- und Landkreis
Dorothea Fastnacht: Erlangen. Ehemaliger Stadt- und Landkreis (= Historisches Ortsnamenbuch von Bayern. Mittelfranken. Band 7) München: Kommission für bayerische Landesgeschichte 2015, 668 S., 1 Karte. – ISBN: 978-3-7696-6869-8, Preis: EUR 49,00.
Rezensiert von Antonius Reith, Erlangen
Die Einleitung bringt nach einem Überblick über die geographischen Grundlagen und die archäologische Befundlage eine Besprechung der drei vorgermanischen Gewässernamen Regnitz, Pegnitz und Zenn. Zu diesen werden die unterschiedlichen Forschungsmeinungen vorgestellt und gegeneinander abgewogen. Relativ neu scheint die Deutung ‘die Glänzendeʼ (von der uridg. Verbalwurzel *radh ‘strahlen, glänzenʼ) für die Regnitz und die mögliche Herleitung des Namens Pegnitz von der idg. Wurzel *bhāg- ‘Bucheʼ. Beim keltischen Gewässernamen Zenn hätte die herangezogene altbritischen Form *Tan- vielleicht mit Greule (Anm. 5) noch als Verbaladjektiv zu *teh2 ‘tauen, schmelzenʼ bedacht werden können.
Der Erlanger Raum ist in mehrfacher Hinsicht zweigeteilt, wie Fastnacht im Vorwort behauptet und mit Hinweisen auf die beiden Hauptphasen der Siedlungsgeschichte im Gebiet des Altlandkreises Erlangen belegt. Abgesehen von der später behandelten neuzeitlichen Nachsiedlung werden drei Hauptphasen der Besiedlung des Untersuchungsgebiets im Spiegel der Ortsnamen dargestellt.
Für die erste Phase bis etwa 750 n. Chr. liegen keine schriftlichen Namenbelege vor. Der Autorin gelingt es jedoch, durch Darstellung großräumiger Zusammenhänge, hier speziell der durch die Regnitzfurche westlich des Flusses verlaufenden sog. Frankenstraße, sowie durch Analyse der Gewässernamen ein schlüssiges Bild der frühen Besiedlung zu entwerfen. Für die folgende Phase von der Karolingerzeit bis zur Gründung des Bistums Bamberg 1007 sind mit Büchenbach (996), Erlangen (1002), Kleinseebach, Möhrendorf und Wellerstadt (jeweils 1007) nur fünf Ortsnamen im Untersuchungsgebiet urkundlich gesichert. Dennoch entsteht beim interessierten Leser eine klare Vorstellung von der Besiedlung des Erlanger Gebietes bis zur Zeit der Bamberger Bistumsgründung. Dies geschieht durch die Erklärung der Gaunamen, die Diskussion der Gaugrenzen, die Darstellung der Forstorganisation und die ausführliche Erläuterung von älteren Ortsnamenschichten mit Grundwörtern -dorf, -bach, -brunn, -bruck, -bürg sowie Neuses. All diese Orte liegen entlang bzw. nahe der Regnitz, wo deutlich früher gesiedelt wurde. Die Akribie, mit der Dorothea Fastnacht vorgeht, zeigt sich besonders augenfällig in der ausführlichen Auseinandersetzung mit der vollständig abgedruckten und neu übersetzten Urkunde von 1002 (Anm. 6), in welcher der Hauptort des Untersuchungsgebietes erstmals genannt wird. Dabei geht es nicht um die Deutung des Namens Erlangen, das geschieht im Hauptteil ausführlich und genau anhand einer zehnseitigen Belegreihe, sondern um die Frage, ob darin das westlich der Regnitz gelegene Alterlangen oder das östlich gelegene Erlangen angesprochen ist. Hier ist m. E. zu überlegen, ob eine solche historische Diskussion nicht den Rahmen eines Ortsnamenbuches sprengt und besser in einer getrennten Veröffentlichung Platz fände. Als dritter Abschnitt der Besiedlungsgeschichte wird die hochmittelalterliche Rodungsphase vom 11. bis zum 13. Jahrhundert betrachtet, belegt u. a. durch die typischen Rodungsnamen auf -reuth wie Bubenreuth, Uttenreuth oder Kalchreuth. Dass auch in diesem Kapitel die Geschichte zentral gesehen wird, erweist sich in der Zweiteilung der Besprechung von Ortsnamen mit dem Grundwort -dorf, die z. T. schon im 2. Abschnitt, z. T. aber erst hier in ihrer siedlungsgeschichtlichen Relevanz analysiert werden.
Von sehr großer Bedeutung für die sich entwickelnde Siedlungsstruktur ist, wie Fastnacht in einem eigenen Kapitel erläutert, die Pfarreiorganisation. Die über den engeren Untersuchungsbereich hinausreichende Kartenskizze zeigt sehr anschaulich die Relevanz der Urpfarreien und ihrer Filialen für den Gang der Besiedlung.
Deutlich zweigeteilt ist der Sprachraum des Altlandkreises Erlangen, und zwar durch die knapp südlich der Stadt Erlangen verlaufende „Nordbairische Westschranke“. Diese von Hugo Steger (Anm. 7) aufgezeigte Sprachgrenze wird im vorliegenden Ortsnamenbuch in einem eigenen Kapitel anhand einer Reihe von Lauten differenziert bestätigt. Dabei wird das Oberostfränkisch im Norden des Untersuchungsgebiets der Sprache des „Nürnberger Raums“, eines fränkisch-bairischen Interferenzgebiets, im Süden gegenübergestellt. Gelegentliche „Grenzüberschreitungen“, wie sie sich z. B. in Mundart- und Schreibformen des Namens Marloffstein zeigen, werden eingehend erläutert. Dabei erbringt Fastnacht den Nachweis, dass vor -r a-Schreibungen für mhd. ō nicht nur im Würzburger (Anm. 8), sondern auch im Erlanger Raum vorkommen. Darüber hinaus wird auf den Einfluss des Wirtschaftszentrums Nürnberg, auf die Sprache gerade des Grenzraums verwiesen. Dass ein mundartliches Überschneidungsgebiet zu Identitätsproblemen bei den Bewohnern führen kann, verdeutlicht Fastnacht an einem Zitat des Aeneas Silvius Piccolomini von 1440, das dem geneigten Leser nicht vorenthalten werden soll und übersetzt lautet: „Die Nürnberger wollen weder als Baiern noch als Franken angesehen werden, sondern als ein dritter besonderer Stamm.“
Nun zu den Ortsartikeln in Teil B: Sie bringen anhand umfangreicher Belegreihen eine äußerst sorgfältige Analyse des jeweiligen Namens. Sofern eine eindeutige Erklärung nicht möglich ist, werden die Alternativen exakt durchgespielt, wie z. B. bei Rathsberg, das 1391 (Lehenbuch 1398–1421) erstmals als Ratzberg schriftlich überliefert ist. Die Autorin bespricht hier die möglichen Bestimmungswörter, den mhd. PN Rātzo (zu ahd. rāt ‘Ratʼ), den PN *Rad/*Rat (zum Adj. ahd. rad ‘schnell, geschwind, raschʼ), den Übernamen Ratz- und den Tiernamen mhd./oberdt. Ratz(e) ‘Ratteʼ und begibt sich darüber hinaus noch auf die Suche nach einem möglichen Namengeber in den einschlägigen Archivalien. Immer wieder werden Vergleichsnamen herangezogen, vor allem wenn es gilt, verbreitete, aber falsche Ortsnamendeutungen zu widerlegen. Als Beispiel dafür sei Möhrendorf genannt, das von der PN-Kurzform *Mardo herzuleiten ist und nicht vom stark flektierenden PN Martin, wie zuletzt Maas (Anm. 9) meinte und zuvor der ehemalige Erlanger Stadtarchivar Johannes E. Bischoff. Dessen nachgelassene Manuskriptfragmente hat Fastnacht für ihre Arbeit heranziehen können, doch entsprechen diese in historischer Genauigkeit und sprachwissenschaftlicher Kompetenz nicht immer den aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen.
Wirkliche Verbesserungsvorschläge an dem hervorragenden Erlangen-Buch von Dorothea Fastnacht kann der Rezensent nicht liefern. Zwei kleine Anmerkungen seien aber gestattet.
Der dem ON Frauenaurach zugrunde liegende und zutreffend erläuterte Gewässername Aurach ist nicht 1008 erstmals bezeugt, sondern sicher erst 1069 (Anm. 10). Im herangezogenen Beleg (MGH DD Heinrich II., Nr. 174) identifizieren die Herausgeber „Aurach“ irrig als die „mittlere“ bzw. bei Bundschuh (Anm. 11) „größere Aurach“, was noch v. Reitzenstein (Anm. 12) übernimmt. Dabei meint die Urkunde die „nördliche“ bzw. „kleinere Aurach“, die nahe Pettstadt bei Bamberg in die Regnitz mündet. Erich v. Guttenberg hat auf diesen Fehler in seinen Bamberger Bischofsregesten hingewiesen. (Anm. 13)
Der zweite Hinweis bezieht sich auf den Gewässernamen die Seebach, den v. Reitzenstein (Anm. 14) irrig zum GW -bach stellt, bzw. den Ortsartikel Kleinseebach. Hier könnte auf den bereits im 9. Jahrhundert (Kop. 1160) in der Fuldaer Tradition (Anm. 15) bezeugten Ortsnamen Sebach hingewiesen werden, der indirekt den Gewässernamen belegt und als Großenseebach im Altlandkreis Höchstadt a. d. Aisch identifiziert wird, das knapp 10 km südwestlich von Kleinseebach liegt. Da Großenseebach erst 1348 wieder urkundlich fassbar ist und die Besiedlungsgeschichte alte Siedlungen primär in der Regnitzfurche erwarten lässt, könnte trotz nicht belegten Fuldischen Besitzes ein Bezug des genannten Belegs zu Kleinseebach erwogen werden (vgl. auch die Vorbemerkung zu Wellerstadt).
Im Rahmen der Präsentation des Ortsnamenbuchs Erlangen bekam Dorothea Fastnacht von Prof. Dr. Debus, Kiel, den Preis der Henning-Kaufmann-Stiftung zur Förderung der deutschen Namenforschung überreicht. Wie verdient diese Auszeichnung ist, kann der interessierte und kundige Leser des Werkes sehr gut nachempfinden, denn mit dem Band Erlangen hat die Autorin ein Standardwerk geschaffen, an dem niemand vorbeikommt, der sich historisch oder sprachlich mit Franken oder speziell dem Erlanger Raum beschäftigt.
Anmerkungen
(1) Veröffentlicht in ZBLG 53 (1990), 423–455.(2) Wolfgang Janka, Konzeption und Methodik des Historischen Ortsnamenbuchs von Bayern (HONB), in: Ziegler, Arne / Windberger-Heidenkummer, Erika (Hg.), Methoden der Namenforschung. Methoden, Methodik und Praxis, Berlin 2011, 169–180.
(3) Hanns Hubert Hofmann, Höchstadt-Herzogenaurach (= Historischer Atlas von Bayern, Franken, Heft 1, München 1951).
(4) Peter Millian, Historische Ortsnamenkunde als Heimat-Wegweiser, in: Erlanger Nachrichten, 26.3.2016, 35.
(5) Albrecht Greule, Rezension zu Wolf-Armin Frhr. v. Reitzenstein, Lexikon fränkischer Ortsnamen, Herkunft und Bedeutung, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken, München 2009, in: BONF 47 (2010), 97 Langenzenn, Obernzenn.
(6) MGH DD Heinrich II., Nr. 3.
(7) Hugo Steger, Sprachraumbildung und Landesgeschichte im östlichen Franken. Das Lautsystem der Mundarten im Ostteil Frankens und seine sprach- und landesgeschichtlichen Grundlagen (= Schriften des Instituts für fränkische Landesforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg 13), Neustadt/Aisch 1968.
(8) Ebd. 138.
(9) Herbert Maas, Mausgesees und Ochsenschenkel, Kleine nordbayerische Ortsnamenkunde, 3., aktualisierte Aufl., Nürnberg 1995, 152.
(10) 1069 Grenzbeschreibung: vom Zusammenfluss der Retnezae und Vrae iuxta Vram hinauf bis zum Hamerbach (BayHStA KsSelekt, Nr. 417; Reg. Bbg., Nr. 406).
(11) J[ohann] K[aspar] Bundschuh, Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Franken (…), 6 Bde., Ulm 1799/1804, Bd. I, Sp. 206 u. VI, Sp. 602 (Gegensatz » die kleinere«: I, Sp. 207, u. VI, Sp. 602).
(12) Wolf-Armin Frhr. v. Reitzenstein, Lexikon fränkischer Ortsnamen, Herkunft und Bedeutung, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken, München 2009, 29.
(13) Erich Frhr. v. Guttenberg (Bearb.), Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Bamberg (VGfG, VI. Reihe, [Bd. 2], Würzburg 1963, Nr. 76.
(14) Wie Anm. 12, 888.
(15) Codex Eberhardi I, 237 (Tr. Fulda, c. 4, Nr. 41); Datierung nach v. Reitzenstein (s. o.), 88. Nach der Dissertation von L. Clemm (Der Güterbesitz des Klosters Fulda im östlichen Franken 743–1160, Marburg 1920) bezieht das Register des Codex Eberhardi und mit ihm v. Reitzenstein, Franken, 88, das o. g. „Sebach“ auf Großenseebach.
Empfohlene Zitierweise
Antonius Reith: [Rezension zu] Dorothea Fastnacht, Erlangen. Ehemaliger Stadt- und Landkreis, in: Onomastikblog [27.06.2016], URL: http://www.onomastikblog.de/artikel/ni-rezensionen/erlangen/Druckversion dieses Artikels als PDF
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