http://www.basellandschaftlichezeitung.ch/basel/baselbiet/wenn-flurnamen-geschichten-erzaehlen-130894602
Das erste Baselbieter Namenbuch steht vor dem Abschluss.
Darin versammelt: 25 Jahre Flurnamenforschung im Kanton Baselland.
Und es ist Zeit, das Büro, in welchem das erste
umfassende Werk rund um die Flurnamen im Kanton entstanden ist, zu räumen. Es
liegt unscheinbar in einem Wohnblock am Rande von Pratteln und wird vom
fünfköpfigen Forschungsteam liebevoll «Flurestübli« genannt.
Alles, was sich dort befindet, muss jetzt raus. Darunter
Büromöbel wie Tische, Stühle und Regale sowie stapelweise namen- und
heimatkundliche Literatur. «Und auch die eine oder andere Trouvaille«, wie
Hofmann verspricht. Darunter etwa Bücher zur Kantonsgeschichte von Karl Otto
Gauss und ein komplettes Grimmsches Wörterbuch.
Interessierte haben am heute Montag nach dem Motto «Der
Schnäller isch der Gschwinder» die Möglichkeit, solche Dinge zu erwerben. Am
Tag darauf werden im «Flurestübli« dann zum letzten Mal die Lichter gelöscht.
Ein Zeuge
der Vergangenheit
Zwischen 2003 und 2007 entstand im «Flurestübli» als Zwischenschritt für
jede Gemeinde im Kanton ein Ortsnamenbüchlein mit Kurzdeutungen der in der
jeweiligen Gemeinde noch gebräuchlichen Flurnamen. Damit stiess das
Forschungsteam auf reges Interesse: Über 34 000 Exemplare wurden verkauft.
Dieser Erfolg stützt das Team in der Bestrebung, das Baselbieter Namenbuch
für alle zugänglich zu machen. «Es hält den fachlichen Ansprüchen stand und ist
gleichzeitig auch für Laien verständlich», sagt Hofmann. Aber warum sollte sich
ein Laie für Flurnamen interessieren? «Weil sie wesentliche Informationen aus
der Vergangenheit in die Gegenwart transportieren, etwa aus der Gesellschafts-
oder der Agrargeschichte.
Heisst ein Gebiet zum Beispiel Ägerte, kann man davon ausgehen, dass das
Land dort einst wenig ertragreich war. Namen gehören zu unserer sprachlichen
und kulturellen Identität.»
Aus der Not geboren
Dass der Namenschatz hier so gross ist, liege eben gerade daran, dass man
auf eine lange Siedlungsgeschichte zurückblicken kann. «In den USA zum Beispiel
sind die Strassen in vielen Städten bloss nummeriert, die wenigsten tragen
Eigennamen», so Hofmann. Im Baselbiet ist das anders; viele Strassennamen sind
hier gewachsen und beziehen sich auf konkrete (einstige) Gegebenheiten.
Jüngere Strassennamen haben aber auch hierzulande oft keinen historischen
Hintergrund mehr und zeugen von wenig Kreativität. «Das rührt daher, dass das
Baselbiet eine so starke Urbanisierung erlebt hat. In kurzer Zeit entstanden
viele Strassen, die benannt werden mussten. Die meisten Blumenstrassennamen zum
Beispiel sind aus der Not geboren. In kleinen Dörfern, die von der
Urbanisierung verschont blieben, findet man sie kaum.»
Während einige der historischen Namen auch für Laien viel über die
Geschichte preisgeben, stellen andere selbst die Fachleute vor Rätsel. «Es gibt
Flurnamen, die sind dermassen entstellt oder verschliffen, dass wir sie nicht
mehr herleiten können«, gesteht Hofmann. «Wieder andere scheinen zwar
sprachlich eindeutig, machen aber im Zusammenhang mit der Landschaft keinen
Sinn.»
Die Namenforschenden sitzen nämlich nicht bloss in ihrem Büro, sondern
begeben sich auch vor Ort. Realprobe nennen sie das. Und wenn diese mit der Theorie
nicht übereinstimmt, wird es richtig spannend. Zum Beispiel beim Flurnamen
Wärlige in Rothenfluh. «Dieser weist klar darauf hin, dass es dort einst eine
Siedlung gab.
Aber vor Ort konnten wir keine Hinweise darauf finden.» Dafür fanden sich
einige hundert Meter weiter Keramikspuren. «Es stellte sich heraus, dass der
Hang einst samt Siedlungsüberresten gerutscht ist, der Flurname aber dort
blieb, wo die Siedlung früher war.»
Für solche und ähnliche Fragen arbeitet die Namenforschung mit den
Fachgebieten Archäologie oder Geografie zusammen. Für andere mit Botanik oder
Kirchengeschichte – Namendeutung ist nur in Vernetzung mit anderen
Fachbereichen möglich.
Nicht alle Rätsel haben sich so einfach aufgelöst wie dieses. Im
Baselbieter Namenbuch finden sich auch Flurnamen, die nicht abschliessend
geklärt sind. «Wir präsentieren dann verschiedene Herleitungsmöglichkeiten und
schätzen diese auch nach ihrer Wahrscheinlichkeit ein.»
Zu diesen gehört zum Beispiel der Hügelzug Dottmese zwischen Gelterkinden
und Rickenbach, der zum ersten Mal 1480 auftaucht, damals noch als Dotwysen.
Vielleicht eine Kombination aus Wiese und dem Namen des Besitzers? «Kaum»,
weiss der Experte, «hier sagt man nicht Wiese sondern Matte.»
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