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Josef Schwing: Die deutschen mundartlichen Ortsnamen Südtransdanubiens (Ungarn) [A Magyar Névarchívum Kiadványai 22 [Veröffentlichungen des Ungarischen Namenarchivs 22], Debrecen: Debreceni Egyetemi Kiadó [Verlag der Universität Debrecen] 2011, 213 S. – ISBN: 978-9-6331-8129-4, Preis: EUR 39,00 (DE).
Nachfolgend erscheint die deutsche Übersetzung einer bereits auf Ungarisch erschienenen Rezension:
Károly Gerstner: [Rezension zu] Josef Schwing, Die deutschen mundartlichen Ortsnamen Südtransdanubiens (Ungarn) [Dél-dunántúli német nyelvjárási helynevek], in: Névtani Értesítö 34 (2012), S. 257–260.
URL der Originalrezension: https://edit.elte.hu/xmlui/bitstream/handle/10831/6721/N%C3%8934.pdf?sequence=16(Link zum Zeitschriftenheft).
Károly Gerstner: [Rezension zu] Josef Schwing, Die deutschen mundartlichen Ortsnamen Südtransdanubiens (Ungarn) [Dél-dunántúli német nyelvjárási helynevek], in: Névtani Értesítö 34 (2012), S. 257–260.
URL der Originalrezension: https://edit.elte.hu/xmlui/bitstream/handle/10831/6721/N%C3%8934.pdf?sequence=16(Link zum Zeitschriftenheft).
Rezensiert von Károly Gerstner, Budapest
Die Ortsnamen enthalten außer der Denotation eines gegebenen Objekts im Raum zahlreiche andere Informationen. Diese sind primär sprachlicher Natur, denn die Namen – gleich welche Rolle sie im Sprachsystem einnehmen – fungieren als sprachliche Zeichen; dementsprechend werden sie durch phonologische, morphologische, semantische und sonstige Merkmale charakterisiert. Diese Merkmale können selbstverständlich regional (d. h. mundartlich) bedingt sein, sie können auch auf unterschiedliche Verbindungen zu anderen Sprachen verweisen, und sich so mehrere phonologische und morphologische Varianten herausbilden. Diese Charakteristiken der Ortsnamen erscheinen auch in nennenswertem Maße in den Toponymensammlungen verschiedener Komitate, die derart auch für Untersuchungen auf den genannten sprachwissenschaftlichen Gebieten als Quelle dienen können.
Auch der Autor der Studie, die den Gegenstand der vorliegenden Besprechung bildet, Josef Schwing, stellte fest, dass mehrere Varianten eines Siedlungsnamens in der näheren oder weiteren Umgebung der jeweiligen Siedlung entstehen können. Diese Beobachtung machte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des „Pfälzischen Wörterbuchs“. In diesem Wörterbuch erscheinen unterschiedliche Typen von geographischen Namen. Josef Schwing wurde auch auf die in Ungarn vorkommenden mundartlichen Varietäten der Ortsnamen aufmerksam. Er selbst stammt aus Palotabozsok, einem Dorf in der Baranya, und hat in der zurückliegenden Zeit Tonaufnahmen der der südtransdanubischen deutschen Mundarten durchgeführt, die in dialektologischer Hinsicht sehr vielfarbig sind. (Die Besprechung der Monographie über die Namen der Stadt Pécs siehe NÉ. 2011. 33: 299–303.) Der Autor hat während seiner Feldarbeiten beobachtet, dass die Gewährspersonen den Namen eines Ortes in zahlreichen Versionen verwenden – das war die eine Motivation seiner Arbeit. Die andere aber war der Tatbestand, dass die Namenformen auf den Ortseingangsschildern der von Deutschen bewohnten Dörfern in vielen Fällen nicht den von den Sprechern verwendeten Formen entsprechen – wie dies der Autor mit Fug und Recht feststellt.
Das Namenmaterial stammt aus den Aufnahmen, die er in den Komitaten Baranya, Somogy und Tolna in 220 Orten durchgeführt hat, weitere Daten konnte er unter den von den nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland ausgewiesenen Deutschen aus Südtransdanubien gewinnen. Während der Aufnahmen notierte er die deutschen mundartlichen Namen sämtlicher Ortschaften (d. h. nicht nur den oder die von den Informanten angegebenen Namen des eigenen Ortes), des Weiteren die Mundartformen der den Informanten bekannten größeren Städte des Karpatenbeckens – sofern es mundartliche Benennungen gab. Für Székesfehérvár gab es zwei Lexemvarianten:Stuhlweißenburg bzw. Weißenburg; für diese fand der Autor dreiundzwanzig verschiedene Mundartvarianten. Schwierigkeiten bereitete das Finden authentischer Gewährspersonen, denn der Sprachwechsel war in einem sehr fortgeschrittenen Zustand, deshalb konnten schon in 1990er Jahren für die Auskunft nur die ältesten Sprecher herangezogen werden. All dies ist im Vorwort des Bandes (vi–vii) zu lesen.
Es folgen drei Karten: die erste zeigt die Orte, in denen Sammelarbeiten durchgeführt wurden; die zweite zeigt die Bevölkerungsverhältnisse nach den Angaben der Volkszählung 1941; die dritte zeigt die Verbreitung und die Herkunft der deutschen Ortsmundarten der Region. (Dieselben Karten erhielten jedoch im Kartenverzeichnis auf Seite xxxi die Kennzeichnungen A, B, C.)
Es folgen drei Karten: die erste zeigt die Orte, in denen Sammelarbeiten durchgeführt wurden; die zweite zeigt die Bevölkerungsverhältnisse nach den Angaben der Volkszählung 1941; die dritte zeigt die Verbreitung und die Herkunft der deutschen Ortsmundarten der Region. (Dieselben Karten erhielten jedoch im Kartenverzeichnis auf Seite xxxi die Kennzeichnungen A, B, C.)
Der anschließende Abschnitt des Buches fasst die Struktur und die Herkunft der Ortsnamen Südtransdanubiens zusammen (xi–xx). Das erste Unterkapitel ist eine kompakte, korrekte Übersicht der Typologie und Geschichte der ungarischen Ortsnamen. Es werden die von Familien-, Sippen- Stammes- und Volksnamen mit Null-Morphem abgeleiteten (unflektierten) Ortsnamen, die mit -i und -d Suffix, mit -falu und -falva gebildeten Namen etc. besprochen. Das zweite Unterkapitel behandelt kurz die Eigentümlichkeiten der ungarischen Mundarten der Region. Als Charakteristikum nennt er die im Vergleich zur ungarischen Umgangssprache geschlosseneren e-Laute, die im Gegensatz zur Umgangssprache häufig erscheinenden ö-Laute (die sogenannte ö-Aussprache), das geschwundene l, das Ersatzdehnung zur Folge hatte. Wir erfahren von der für die ungarischen Mundarten des Gebiet charakteristischen Kürzungen der Laute í, ő und ú, wodurch mundartliche Namen wie Hidvég, Horvátkut etc. entstanden. Für das ő gibt es kein Beispiel – meines Erachtens kann es auch keins geben, denn das ő wird nicht gekürzt. Dagegen lautet der „amtliche“ Name Gyűd mundartlich Gyüd, d. h., es müsste ein ű unter Beispielen für Kürzung stehen.
Das dritte Unterkapitel befasst sich mit den deutschen Formen der Ortsnamen. Josef Schwing stellt fest, dass es sich mit wenigen Ausnahmen um Entlehnungen ungarischer Ortsnamen handelt, deren Lautstruktur dem jeweiligen Lautsystem der entlehnenden deutschen Ortsmundarten angeglichen wurden – auch dann, wenn die ungarischen Namen letztendlich deutscher Herkunft sind. Ein solcher Name ist Zsibrik, in dem sich der deutsche PersonennameSiegfried verbirgt. Er wird zu Schiwwereck umgeformt. Hier erfahren wir über die die Vokal- und Konsonantensysteme sowie über die Eigenheiten der Wortakzentuierung der deutschen Mundarten Südtransdanubiens (xiv–xvii). In den deutschen mundartlichen Ortsnamen finden wir Bildungssuffixe, z. B. -ing, -ingen, -au, -isch, die auch im Binnendeutschen vorkommen. Diese sind volksetymologisch aufgrund der Lautähnlichkeit (oder -gleichheit) mit den Endungen der ungarischen Namen entstanden und haben keine Derivationsfunktion. Angesprochen werden die Rolle der Volksetymologie im Zusammenhang mit der Entlehnung (2.3.2.2.) sowie die Ortsneckerei (2.3.2.3.). Wie auch Josef Schwing schreibt, gehören diese Fragen nicht zur Namenkunde, sie sind eher folkloristische Erscheinungen. Trotzdem hat er sie einbezogen, einerseits, weil sie viele mundartliche Merkmale enthalten, andererseits, weil sie auch soziokulturelle Bezüge haben. Der Verfasser merkt an – wie wir es bezüglich der ungarischen Namen kennen –, dass die meisten Ortsnecknamen inhaltlich abschätzig und häufig derb sind, jedoch haben sich die Deutschen nur unter sich geneckt, andere Volksgruppen spielen dabei fast gar keine Rolle (xviii).
Unter Punkt 2.3.3. erfahren wir, dass in den 1940er Jahren der Versuch unternommen wurde, die von den Ungarndeutschen gebrauchten mundartlichen Namen deutscher Orte durch schriftsprachliche Übersetzungen der amtlichen ungarischen Ortsnamen (z. B. Ófalu > Altdorf), oder durch Neukonstruktionen (z. B. Palotabozsok >Pfalzborn) zu ersetzen. Die Bewohner von Palotabozsok verwendeten nach wie vor die Kurzform dieses Namens:Boschok [ˈpoʒok]. Aus anderen Regionen könnte man zahlreiche derartige Beispiele bringen. Sie haben eines gemeinsam: dass die deutsche Bevölkerung diese „Konstrukte“ in keinem einzigen Fall angenommen, zumeist davon nicht einmal erfahren hat.
Diesbezüglich wird ein ähnliches, jedoch aus anderem Anlass entstandenes Problem angesprochen. In den 1970er Jahren wurden unter den ungarischen Ortseingangsschildern der von ethnischen Minderheiten bewohnten Dörfern Tafeln mit den Ortsnamen in der Muttersprache der Minderheit angebracht. Die gute Absicht ist unbestreitbar, die sprachliche Umsetzung jedoch in zahlreichen Fällen höchst unbefriedigend. Man musste nach Möglichkeit die mundartlichen Varianten in die deutsche Schriftsprache transponieren. Dadurch ergaben sich manche Schwierigkeiten, da viele Ortsnamen Laute enthielten, die mit dem deutschen Alphabet nicht wiedergegeben werden konnten. Josef Schwing erwartete in dieser Frage mit Recht mehr „Wissenschaftlichkeit“ – es wäre vielleicht angebracht diese Frage in zuständigen Foren aufzugreifen. (Anmerkung: nicht nur die deutschen, sondern auch einige slowakische Ortsnamen auf diesen Tafeln sind problematisch.) In Punkt 2.4. wird auf die kroatischen bzw. serbischen Ortsnamen kurz eingegangen, von denen einige in die deutschen Mundarten gelangten, jedoch kamen die meisten über den ungarischen „Filter“ ins Deutsche.
Der Abschnitt 2.5. behandelt unter der Überschrift „Weiterbildung“ die Deklination und Derivation der ungarischen, deutschen, serbokroatischen und mit einem Beispiel der zigeunerischen Ortsnamen.
Vor dem Teil B, der Wortsammlung, finden wir noch wichtige Informationsabschnitte des Apparats, auf achteinhalb Seiten zweispaltig das umfangreiche Quellenverzeichnis (xxii–xxx), anschließend auf zwei Seiten das Kartenverzeichnis. Kartiert sind die Orte, die verschiedene Varianten ihres mundartlichen Namens haben. Punkt 6 enthält die Zeichen des Internationalen Phonetischen Alphabets (IPA) und weitere Zeichen sowie die Abkürzungen. Sämtliche Namen der deutschen Mundarten sind phonetisch eng transkribiert und gewährleisten die recht genaue Wiedergabe der Lautform. Da jedoch dieses wissenschaftliche Transkriptionssystem nur von Fachleuten gelesen werden kann, gibt der Autor dazu auch volkstümliche Umschriften an. Die wichtigste ist vom ihm konstruiert, weitere Schreibungen wurden aus der Sammlung der geographischen Namenwörterbücher bzw. aus der Karte mit dem Titel „Die Deutschen in Ungarn“ (deren Besprechung siehe in: NÉ. 1997. 19: 139–142).
Den Hauptteil des Werkes bildet sinngemäß die Wortsammlung, das eigentliche Wörterbuch (1–213). Die Stichwörter der Wortartikel sind die ungarischen amtlichen Namenformen, alphabetisch geordnet. Es sind sämtliche Ortsnamen der drei südtransdanubischen Komitate verzeichnet, für die eine oder mehrere Mundartformen vorliegen (diesen schließen sich einige Orte des Komitates Fejér, der Batschka und der kroatischen Baranya an).
Die Wortartikel bestehen aus vier Teilen. 1. der ungarische Teil mit dem amtlichen ungarischen Ortsnamen (Stand 1941), dessen Lokalisierung: Komitat, Kreis, Koordinaten nach der Karte I.; umgangssprachliche Aussprache mit IPA-Transkription; ungarische (und südslawische) Mundartformen aus den geographischen Namenbüchern der Komitate; historische Belege (wo welche vorhanden sind) und Etymologie, deren primäre Quelle das FNESz. (Földrajzi nevek etimológiai szótára [Etymologisches Wörterbuch der geographischen Namen]) darstellt. – 2. der deutsche Teil: die deutschen Mundartformen in der IPA-Umschrift; die in den Komitatswörterbüchern vorhandenen deutschen Mundartformen; verschiedene konstruierte Namenformen. Wenn ein mundartlicher Name verschiedene Varianten hat, sind diese auf einer Karte dargestellt, dadurch ist deren geographische Distribution ersichtlich. – 3. mundartliche Ortsnecknamen und Anekdoten (wenn vorhanden), ebenfalls in IPA-Aufzeichnung und schriftsprachlicher Transposition. – 4. statistische Daten, auf der Volkszählung von 1941 basierend (ethnische und religiöse Verbreitung; Anzahl der Häuser).
Die Wortartikel bieten also außergewöhnlich viele Informationen, deren Übersichtlichkeit auch durch zahlreiche Karten gestützt wird. Zwar werden manche Namen durch die Symbole verdeckt, durch Vergleich des Kartenausschnitts mit der Karte I können sie jedoch identifiziert werden. Der Ortsname Kakasd in der Tolnau ist für vierzig Orte mit sechzehn phonetischen Varianten benannt. Pest, das Grundwort von Budapest, hat vier Mundartformen. Der vorliegende Band unterscheidet sich in dieser Beziehung wesentlich von den Namensammlungen der Komitate, denn hier war (nur) die phonematische Aufzeichnung gefordert.
Josef Schwing hat im letzten Moment eine hoch einzuschätzende Sammelarbeit durchgeführt, denn die Sprecher der deutschen Mundart werden von Tag zu Tag weniger. Das immense Material hat er nach minuziöser Analyse veröffentlicht, womit er auch der deutschen Dialektologie einen Dienst erwies. Die verschiedenen Namenformen der Wortartikel sind auch hinsichtlich sprachlicher Kontakte nutzbringend, wie auch die Beiträge zur Volkskunde unsere Kenntnisse über die Denkweise der Sprecher bereichern. Das Werk hat seinen wohlverdienten Platz in der Reihe der Publikationen des Ungarischen Namenarchivs [A Magyar Névarchívum Kiadványai].
Empfohlene Zitierweise
Károly Gerstner: [Rezension zu] Josef Schwing, Die deutschen mundartlichen Ortsnamen Südtransdanubiens (Ungarn), Debrecen 2011, in: Onomastikblog [24.07.2015], URL: www.onomastikblog.de/artikel/ni-rezensionen/rez-on-suedtransdanubien (dt. Übers. d. ungar. Or.).
Dieser Blogartikel und das zugehörige PDF-Dokument sind lizenziert unter CC BY 3.0 DE.
Die Titeldaten für das rezensierte Werk finden Sie im DNB-Katalog.
Die Titeldaten für das rezensierte Werk finden Sie im DNB-Katalog.
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