Tuesday, June 24, 2014

Die ländlichen Siedlungen in Thüringen

http://www.onomastikblog.de/neuerscheinungen/die_laendlichen_siedlungen_in_thueringen/

Analyse der ländlichen Siedlungsformen

von Wolfgang Dietl, Hans Dirk Hoppe, Torsten Lieberenz und Carsten Liesenberg
(kommentiert von Karlheinz Hengst, Chemnitz)
Die historische Siedlungsforschung und auch die Namenforschung können neuerdings ein wesentliches Nachschlagewerk nutzen. Es handelt sich um einen Band, den man so leicht nicht findet und der in der Schriftenreihe des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie (Neue Folge) als stattliches Heft 42 im A4-Format erschienen ist. [Daher sei an dieser Stelle ausdrücklich Herrn Dipl.-Ing. Hans Dirk Hoppe, Werkstatt für Denkmalpflege und ländliches Bauen, Langenchursdorf in Sachsen für den Zugang zu dieser Publikation sowie weitere Hinweise herzlich gedankt.]
Es kann und soll hier keine Würdigung des Bandes vorgenommen werden. Als Sprachforscher fehlt mir dazu die Kompetenz, um die geleistete Kärrnerarbeit beurteilen oder gar bewerten zu können. Es sind aber ausdrücklich der Nutzen und damit der besondere Wert dieses neuen und auch neue Wege beschreitenden Nachschlagewerks als leicht handhabbare Hilfe in vielen Zweifelsfällen für den Orts- und Flurnamenforscher zu kennzeichnen. Gleichzeitig ist von einer Nachbarwissenschaft an das Autoren-Team Anerkennung, Respekt und Dank auszusprechen.
Die Federführung durch die Denkmalpflege erklärt sich daher, dass Ortsgrundrisse im Thüringischen Denkmalschutzgesetz ausdrücklich als Schutzgut ausgewiesen sind. Die Gemeinsamkeit mit der historischen Sprachforschung besteht folglich bereits darin, dass auch wir die Eigennamen, insbes. die Namen von geographischen Objekten, also bes. auch der ländlichen Siedlungen, als die meist ältesten Sprachdenkmäler einer Region und auch einer Gemeinde als bewahrens- und untersuchenswerte sprachliche Zeugnisse behandeln sowie als Geschichtsquellen nutzen.
In interdisziplinärer Arbeit haben Denkmalpflege und Siedlungsgeografie für den Freistaat Thüringen eine nun kurz zu kennzeichnende Leistung erbracht. Das zurückhaltend und bescheiden als "Arbeitsheft" bezeichnete Ergebnis einer Autorengruppe bietet erstmals für ganz Thüringen und damit wirklich flächendeckend, was bisher nur als Wunschtraum existierte und ein Forschungsdesideratum darstellte. [Einschränkend ist nach einem Hinweis von Hans Dirk Hoppe (brieflich am 3. 6. 2014) zu vermerken, dass nur die ländlich geprägten Dörfer bearbeitet wurden, d.h. i.S. des Heftes, die in der 2. H. des 19. Jh.s (nach einer statistischen Methode ermittelten) überwiegend agrarisch geprägten Dörfer. Es fehlen also die Siedlungen v.a. in Wald- und waldnahen Gebieten. Es sind also die wirtschaftlich ähnlich ausgerichtete Siedlungen als untereinander vergleichbar zum Untersuchungsgegenstand gemacht worden. Es steht damit die zu erwartende Gegenprobe aus, ob das entwickelte Analyseverfahren bzw. die vorgelegte Systematik auch für die formale Grundrissansprache der zunächst "aussortierten" Orte anwendbar ist.]
Wir erhalten zu jedem Ort und auch zu den eingemeindeten Ortsteilen von Städten zuverlässige Angaben zu den bekanntlich langlebigen Ortsgrundrissen sowie zu ihren Erweiterungen und Überformungen im Laufe der letzten Jahrhunderte. Beigegeben sind aber auch zahlreiche weitere für jeden einzelnen Ort, seine Entwicklung und seine Besiedlungsgeschichte nützliche Angaben.
Der gründlich gearbeitete, logisch gegliederte und leserfreundlich gestaltete Textteil beginnt mit Angaben zur Geschichte der Siedlungsformenforschung in Thüringen, erläutert die Quellenbasis und macht durch Abbildungen sowie Übersichten auch für Nichtfachleute alles gut verständlich. Eine Analyse der Siedlungsformen und die Eruierung von elf Siedlungsformentypen (S. 18 – 89 durch W. Dietl und T. Lieberenz) mit kolorierten Abbildungen wird mit einer Überschau zur Verbreitung der Siedlungsformen in Thüringen (S. 90 – 101 durch C. Liesenberg) mit farbigen Karten und Tabellen sowie einer Legende zu den Siedlungsformentypen (S. 96) abgeschlossen.
Für den sich auf rasche Orientierung zu einem Kreisgebiet im Land Thüringen beschränkenden Interessenten bietet H. D. Hoppe nach Landkreisen gegliederte Ausführungen zur Verbreitung der Siedlungstypen, Siedlungsgrößen und Siedlungsformen (S. 102 – 123). In einer – auf einem Zwischenstand des mit dem Arbeitsheft vorgestellten Analyseprojektes aufbauenden – gesondert erschienenen Studie hat der Autor "Die Grundrissformen der ländlichen Siedlungen im Geraer Stadtgebiet" ausführlicher behandelt und mit 17 Abbildungen sowie einer Übersichtskarte untermauert. [Erschienen in dem Band "Stadt Gera" = Kulturdenkmale in Thüringen. 3, bearbeitet von Anja Löffler unter Mitwirkung von Nicola Damrich und mit Beiträgen von Stefan Bauch, Martin Baumann, Klaus Brodale, Hans-Dirk Hoppe, Burkhardt Russe, Peter Sachenbacher. Sandstein Verlag. Thüring. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. Erfurt 2007, S. 37 – 53.]
Der historisch arbeitende Onomast sowie der zur Orts- und Besiedlungsgeschichte arbeitende Lokalforscher müssen an dieser Stelle unbedingt auf die im Inhaltsverzeichnis (S. 5) im Kleindruck vermerkten Anlagen auf beigelegter CD aufmerksam gemacht werden. Diese CD enthält eine wahre Fundgrube von Angaben. Das sind im wesentlichen zwei Verzeichnisse und eine Karte: Eine Übersicht über Siedlungstypen auf dem Gebiet des Freistaates Thüringen (1994), eine Ortsliste nach Kreisen und eine Interaktive Karte Die Ländlichen Siedlungen in Thüringen.
Zusammenfassend ist festzustellen:
  1. Das Arbeitsheft bietet wissenschaftsmethodisch eine Gewinn, denn es weist eine Weiterentwicklung der methodischen Forschung zur Verbreitung typischer Siedlungsformen aus.
  2. Im Verlauf von knapp fünfzehn Jahren seit ersten Bestandssichtungen 1998 ist eine umfangreiche Datenbasis erstellt worden.
  3. Alle Ergebnisse liegen mit dem Textheft einerseits vor. Alle ortsbezogenen Forschungsergebnisse andererseits sind als abrufbare Daten auf einer bequem zu nutzenden digitalisierte Datenbank verfügbar.
Im Vergleich zu den Angaben in dem gern genutzten Lexikon "Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen" [Neuausgabe, hrsg. von Karlheinz Blaschke, bearbeitet von Susanne Baudisch und Karlheinz Blaschke, 2 Halbbände, Leipzig 2006.] mit den dort unter jedem Lemma angegebenen Siedlungsformen, verfügt das Land Thüringen nun auch als verlässliche Basis für ein noch zu erarbeitendes Historisches Ortslexikon erstmals über die notwendigen Daten zu den Siedlungsformen bei jedem Ort nach dem zugleich neusten Forschungsstand.
Auch die Verfasser von historischen Ortsnamenbüchern zu thüringischen Regionen können leicht auf die Datenbasis zurückgreifen und sie nutzen. Die Angaben sind hilfreich selbst bei Unsicherheiten hinsichtlich der Etymologie bzw. ursprünglichen Form eines slawisch geprägten Ortsnamens. So kann z. B. der ON Tünschütz bei Eisenberg im Holzlandkreis sprachgeschichtlich auf einem slaw. Appellativum für 'Zaun, Burg' oder auf einem Personennamen beruhen. Die Angaben auf der CD mit "Lage in Talmulde", "Ortsbild geschlossen, klein, kompakt", "Straßenform, Platzform" ohne Hinweise auf vordeutsche Anlage einer Befestigung oder einen Herrensitz, lassen das "Bauerndorf" nun von sprachwissenschaftlicher Seite kennzeichnen als einen slaw. ON tragend mit Benennung nach dem Besitz des ersten slaw. Siedlers, also nach einer Person. Ganz anders hingegen bei Tinz, heute Ortsteil von Gera, mit Angaben auf der CD, die die Annahme einer slaw. Benennung mit der Semantik 'Umzäunung' bzw. 'Befestigung' stützen.
Dem hier knapp angezeigten Arbeitsheft mit wertvoller, weil datenreicher CD ist schnelle Popularisierung und Nutzung der für Thüringen gebotenen vielfältigen Angaben vor allem zu den Siedlungsformen aller Orte zu wünschen. Das dürfte auch der beste Dank für die vom Verfasserteam geleistete wissenschaftliche Arbeit sein.
Das Buch erschien 2013 im E. Reinhold-Verlag der Verlagsgruppe Kamprad. Die genauen Titeldaten finden Sie im DNB-Katalog.

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